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                                                                                                                                             Seattle, 27ster April 2006

 

Lieber Leser!

 

Mit gemischten Gefuehlen fahre ich aus Panama-Stadt, lasse meinen bisher liebsten Kontinent Suedamerika zurueck.

Gut geschlafen habe ich nicht, denn wie jeden Tag fangen die Haitianer, von denen mein Hotel aus kostenguenstigen Gruenden fast ausschliesslich beherbergt wird, etwa drei Uhr morgens damit an, den erstandenen technischen Plunder ihres Kurzbesuches mit Paketband und Karton zu verkleben.

Ueber die Bruecke "Las Americas", die die Kontinente verbindet, schiebe ich mein Rad, betrachte den Panamakanal wie er sich nach Osten zieht.

Die Gesellschaft des selbsternannten Ingenieurs Ferdinand de Lesseps, unter dessen Vorsitz auch schon dreissig Jahre vorher der Suezkanal entstand, ging bei diesem ehrgeizigen Projekt 1888 bankrott, zog einen umfangreichen Skandal mit sich, der ihn und den beruehmten Ingenieur Gustave Eiffel, welcher mit dem Bau von zehn Schleussen beauftragt wurde, ins Gefaengnis  brachte.Gelbfieber zur Regenperiode, Malaria in der Trockenzeit dieses Dschungels rafften 56000 Arbeiter dahin, darunter 20000 Europaer, der groesste Teil jedoch stammte aus den Kolonien Afrikas. Aus purer Ueberheblichkeit verlachte man den Kubanofranzosen Finlay, der eine Stechmueckenart als Ursache der Infektion vermutete. Weitere 14 Jahre mussten vergehen bis er die Welt von der Richtigkeit seiner Theorie ueberzeugte.

 

Das junge aufstrebende Nordamerika hatte nun allen Grund diesen Plan fortzufuehren, um seine Hegemonie durch diesen zeitersparenden Seeweg auszubauen. Vorher musste man noch eine zumindest unblutige Revolution anzetteln, um Panama von Grosskolumbien abzuspalten, sodann pachtete man die Kanalzone fuer 100 Jahre, kaufte die Rechte einschliesslich aller Anlagen - wie auch der 1853 bis 1855 entstandenen Panamabahn, die durch den Isthmus fuehrt und ebenso tausenden Chinesen das Leben kostete, weil man bei ihnen vermutete, sie waeren resistent gegen das Fieber (vielleicht weil sie ja

schon "gelb" sind) - fuer den zu einem Sechstel fertiggestellten Kanal, schickte ein Team mit 120 Tonnen Insektiziden entlang des Bauvorhabens und 1906 begann man unter dem amerikanischen Ingenieur Georg W. Goethals und finaziellem Rueckhalt von Theodore Roosevelt "schnellstmoeglich" den Plan auszufuehren. Nach weiteren 25000 zu beklagenden Arbeitern, die durch Unfaelle und Krankheiten starben, durchquerte am dritten August 1914 erstmals ein Schiff den Panamakanal.

 

Der groesste Teil des Kanals - immer ein Dorn im weltpolitischen Auge - wurde 1979 an Panama zurueckgegeben, anfang 1989 dann auch die dortige Militaerbasis "Quary Hights", von wo aus man den Sturz Salvador Allendes organisierte und logistische Hilfe fuer die chilenische und argentinische Militaerdiktatur kam. Auch die spektakulaere Invasion von 24000 US-Soldaten in Panama unter Georg Bush senior, zum Sturz des in Ungnade gefallenen Diktators Manuel Noriega, wurde von diesem Stuetzpunkt aus geleitet. Diese kostete etwa tausend Menschenleben.  Der Umsturz fuehrte erst zum Jubel, doch wegen der ausbleibenden Wirtschaftshilfe bald darauf zum Unmut unter der Bevoelkerung, der sich beim Besuch Bushs 1992 in einem Kokosnusshagel erging, Georg in Traenengasschwaden von der Buehne fluechten musste.  

 

Der langjaehrige Einfluss der Amis praegt das oeffentliche Leben. Die Landeswaehrung heisst zwar Balboa, doch das sind einfach amerikanische Dollars, es gibt schon lange keinen eigenen Druck mehr, dazu vereinfacht man ihre fiktive Waehrung indem man sie im Verhaeltnis eins zu eins "umrechnet" - ein reines Wortspiel beim Versuch,  sich seine Eigenstaendigkeit zu beweisen. Ganz untypisch verschlossen fuer die sonst eher freundlichen und mitteilsamen Latinos aus Suedamerika verhaelt sich der Grossteil der Bevoelkerung. Natuerlich provoziere ich auch gerne im angemessenen Rahmen, so rufe ich manchmal ein paar Maedels zu, sie sollten doch lachen, das stehe ihnen besser, Maedchen muessten doch freundlich wirken, doch ich ernte nur Schweigen, sie schauen sich gegenseitig an, ob ich denn verrueckt waere, was ja nahe liegt und praktisch ist, da ich nicht von hier komme, sie in der Gruppe und ich alleine auftauche.

Dagegen gibt es auch viele Kolumbianer in den Staedten bis nach Costa Rica. Maedchen verdingen sich oft als Prostituierte, andere haben kleine Gewerbe eroeffnet. Das sind fuer mich Gruesse aus einer schoeneren Welt und oft plaudere ich mit ihnen. Fuer die frustrierten Panamesen sind die lebensfrohen ( was bedeutet: einfach froh zu sein, dass man lebt ) Kolumbianer dagegen Menschen zweiter Klasse. Das graemt mich sehr, denn hier wird sich als schizophrener Moechtegern-Ami mal wieder angemasst, einfach nur am Geldkapital zu messen. Vor Panama-Stadt, wo sich das Land noch viel exotischer zeigt, schlief ich bei einem Bauern, der mit mir sogar den Schlafraum teilte. Nach geraumer Weile fragte er in die Dunkelheit hinein, warum er in den Medien manchmal das Wort "Dritte Welt" hoere, ja was das denn bedeuten wuerde. So selbstverstaendlich wie er mir Essen und Unterkunft gab, schaemte ich mich ins Bodenlose ueber diesen aus meiner Besserwisserwelt gepraegten Begriff und entschuldigte mich ebenso eindringlich, es seien ganz seltsame, grobe Massstaebe an denen sich solche Herren dort orientieren wuerden. Mir wird wieder bewusst, wie ich mich mit den einfachen Bauern solidarisiere, trotz des Makel an Dummheit durch Machowahn, der mir NUR entlang der Hauptstrassen begegnet, fuehle ich mich doch freier und selbstentscheidender in solchen aermeren Laendern, als in der muedemachenden Welt aus der ich komme. 

 

Tagsueber macht mich die Anspannung auf der Panamericana schnell muede, dass ich keinen Blick fuer die Landschaft entwickle. Oft fehlt es am Seitenstreifen und die Strassenkante bricht sich mit bis zu einem halben Meter ins Bett, oder man hat sich die amerikanische Variante abgeschaut, wo Querrillen ins Betonbett gefraest sind, damit der in den Sekundenschlaf Gefallene durch das Rattern wieder aufwachen moege. Wer faehrt schon Fahrrad? Auto ist ja ein Statussymbol, laed zum eitlen Eifern ein, auch eins zu besitzen, egal ob man sich in Schulden stuerzt, ansonsten nimmt man eben den Bus. Im Land sah ich seit Australien nie so viele Autos, die nur vom Fahrer besetzt waren.

In der letzten Stadt dort rundet sich noch mein gefasstes Bild, als mich ein Bengel im Einkaufsmarkt anbettelt, ich ihm ein Koernerbrot gebe, darauf die Rotznase von etwa acht Jahren es mir empoert zurueckgibt, er haette keinen Hunger, sondern wolle nur Geld!

An der Grenze soll ich noch eine Ausreisesteuer bezahlen, ich maule ein bischen rum:" Ich dachte, sie waeren so reich hier, weil es sich anscheinend jeder leisten koenne, alleine im Auto zu sitzen.", darauf mir die Kassiererin wortlos bedeutet, ich koenne weitergehen.

 

 

In Costa Rica bin ich dann erstmal froh, vom ueberwiegend menschlichen Frost in diesem sonst schwuelheissen Klima weg zu sein, ich mich hier wieder wohler fuehlen kann. Hier reichen sie mir die Hand zur Begruessung, erkundigen sich nach mir. Ein freundlicher Bauer, der mir gleich ein Geschaeft zum Export seiner Kakaobohnen vorschlagen will, bringt es mit seinem westlichen Nachbarn dezent auf einen Punkt, als er sagt: "Die Panamenios kriegen den Mund nicht auf."

 

In dieser Ecke des Landes soll bis zehn Meter Regen pro Jahr fallen, so werde ich haeufig eingeweicht, was mich nicht sonderlich stoert, solange ich es noch schaffe, meinen permeablen Teil der Ausruestung in die dafuer griffbereiten Plastetueten zu packen. 

Als terroristisch recht sicheres Land geltend, begegnen mir nun viele Mietwagen mit Surfbrettern amerikanisch sprechender Insassen. Auch aeltere US-Buerger wagen sich in Reisegruppen hierher und schauen mich nicht an, wahrscheinlich aus Furcht, ich koennte ihnen mit einem Augenkontakt schaden, im Zweifelsfalle sogar gefaehrlich werden.  

Hier baut man Kaffee an, ich fahre an Ananasplantagen vorbei, deren Frucht nach neun Monaten abgeschnitten wird, nochmal solange braucht, bis die zweite Ernte ansteht, die Pflanze ausgedient hat und die Felder branntgerodet werden.

 

Ein LKW schneidet mich zweimal hintereinander im Zentimeterspielraum, davon ich wie zerschlagen bin, einen Umweg zur naechsten Polizeiwache nehme, nach meiner Anzeige ankuendige, ich wuerde den Typen zusammenschlagen, falls er mir nochmal begegne. Daran ist nichts uebertrieben, denn wer mit anderer Leben spielt, macht sich selbst zum Spielball der Gewalten.    (Sind derartige Begegnungen erzaehlenswert? Dazu der folgende Hinweis: Der Leser

befindet sich hier im Freiraum des WWW. Diese Seite unterliegt der rein subjektiven Auswahl und Darstellung des Verfassers, der Besucher fuehle sich frei, zu kommen oder zu gehen. Hier wird KEIN Produkt verkauft, dem Verfasser liegt es fern, um Symphatie zu werben oder Fronten zu bilden. Im Hinblick auf die Schwierigkeit einer objektiven Darstellung sei der kritische Leser aber immer und immer wieder aufgefordert, sich vor Ort selbst eine Meinung zu bilden. Denn soviel man auch hoert und liesst, so steigert sich doch dadurch staendig das Interesse an eigenen Erfahrungen. Der Verfasser wagt ausserdem zu behaupten, das sich dann zeigende Weltbild stelle sich noch viel komplexer ja komplizierter dar, als dass es zu einer vernehmlichen Klaerung kaeme und sich der ewig Fragende der vorstellbaren Einheit alles Wirkens wegen vor die Wahl gestellt sieht, sich entweder nach innen zu wenden oder weniger nachdenkt, indem er sein wartendes Glueck in Partner und Familie erkennt.

Er moechte noch hinzufuegen, sich ganz und gar nicht sicher zu sein, welcher Weg der schwerere davon ist. )

 

Costa Rica hat ja durch geschickte Vermarktung der geographischen Gegebenheiten den Ruf erlangt, als die Schweiz Mittelamerikas zu gelten.

Politisch recht stabil kann es auf eine gut ausgebaute Touristeninfrastruktur verweisen. Man kann Dschungelexkursionen wagen, Wassersport neben diversen Spasssportarten betreiben natuerlich auch ein paar vulkanische Erhebungen besteigen.

Jeder "Tico" kann ein wenig Englisch und macht wegen der Touristen ein manchmal aufgesetzt freundliches Gesicht dazu. Das faellt dem Ami nicht weiter auf, da er derlei Getue ja gar nicht anders von zu hause kennt.

In einem abgetakelten Internetladen in San Isidros, dem ersten groesseren Touristenort im Sueden, traf ich in dem Besitzer ein nordamerikanisches Exemplar der mich mit hilflosem Gesicht auf meine spanische Anrede anstarrte und auf seine Tica-Braut und einen weiteren einheimischen Gehilfen verwies, denn da er stumm blieb, konnte ich auch nicht wissen, was ich falsch gemacht hatte. Die Chica wollte es ihm nun auch recht machen und fing an, englisch zu mir zu reden. Ganz unangenehm war ich fuer sie, dabei kam ich als Zivilist, hatte mein Rad gar nicht dabei. Es stellte sich heraus, dass er es in neun Jahren hier nicht gelernt hatte, sich auch nur die grundlegensten Redewendungen in spanisch anzueignen. Selbst ein Papagei wuerde sich gelehriger zeigen!

Dafuer kann ich mich mit Einheimischen in der Landessprache lustig ueber solche Art Aussteiger machen und mir sicher sein, mit der Einstellung, unterwegs etwas dazulernen zu wollen, viel mehr Sympathie zu erlangen.

 

Hinter der Stadt geht es gleich steil bergan, bis ich nach 38 Kilometern und 2500 Hoehenmetern entlang der Hauptroute den Tag erschoepft auf einer Weide beschliesse. Am naechsten Tag steigt die Strasse noch bis 3300 Meter an, dann geht es langsam in Richtung der Hauptstadt hinunter. Dort angekommen besorge ich mir einige Neuteile fuer eine anstehende Radueberholung. Im Radgeschaeft treffe ich in Geovanny und seinen zwei Angestellten sogar auf Freunde, man berechnet mir nur die Teile, saemtliche wichtigen und zeitraubende Arbeiten, wie das Ausbohren ueberdrehter Schrauben sind ein

wertvolles Geschenk fuer mich. Die ganze Zeit stehe ich mit ihnen hinter der Theke und mehrmals spricht mich Kundschaft an, die meinen, ich gehoerte zum Laden.

 

Da man mir den Vulkan "Arenal" als oft rauchenden bis Lava-spuckenden Berg anpreist, fahre ich dorthin und treffe in La Fortuna auf Udo aus Gera. Der Huebsche hat die letzten fuenfzehn Jahre als Modell gearbeitet und nun einen Neuanfang gewagt, alles verkauft und noch mehr verschenkt und sich mit seinem Huendchen und Rucksack aufgemacht, die Welt zu bereisen, ohne Zeitmass zu verweilen, wo es ihm gefaellt. Der Vulkan bleibt wolkenverhangen, aber mit Udo laesst es sich gut auskommen, zum Abschied gibt er mir eine Digitalkamera ab, seitdem weiss ich aber nicht mehr, welche ich bei Schnappschuessen ziehen soll, eigentlich wollte ich ja damit nur meine Heimseite von unterwegs fuettern.

 

Im Norden des Landes beschriftet man ueberall in englisch, alles kann gekauft werden. Viele Einheimische sehen mit blutendem Herzen diesen Ausverkauf und Traditionsverfall entgegen,  wie sich vor allem reiche Amerikaner hier breit machen und ihre Unkultur mitbringen, die so mickrig ist, dass es schlicht keinen Ausdruck dafuer gibt, sich einfach in Finanzkraft rechtfertigen will, auf dass man sich ueberall in der Welt wo sie auftauchen, anzupassen haette. Gerchtigkeitshalber muss man erwaehnen, dass fuer die breite Masse der US-Bevoelkerung und die deshalb vielleicht interessantere Schicht Auslandsreisen unerschwinglich bleiben, wodurch sich auch der beschraenkt einseitige Horizont der Leute erklaeren liesse.

 

 

Nicaragua macht einen freundlicheren Eindruck als beim ersten Besuch 1996. Die Leute haben sich von den langen Buergerkriegsjahren, nachdem die

linksgerichteten Sandinisten Somosas Diktatur stuerzten und diese von den USA unterstuetzten Soeldnertruppen Somosas, den sogenannten

"Kontrarevolutionaeren" wiederum den Sandinisten den Krieg erklaerten, einigermassen erholt. Die Landbevoelkerung ist immer noch arm, ja in abgelegeneren Regionen verhungert man teilweise noch, in den Staedten und Ausflugszielen lernt man dagegen, sich mit den Touristen zu arrangieren.

 

Am windigen Ufer des Nicaraguasees will ich nach einem langen Tag meine Haengematte zwischen die Baeume (also zwei und nicht mehr sind dazu noetig) binden und werde innerhalb von Sekunden von Feuerameisen ueberfallen, deren Fluessigkeit so aetzend ist, dass meine Fuesschen am Morgen mit Eiterblasen besaet sind. Die gleiche Art muss mir vor Monaten auch ein paar Loecher ins Innenzelt gebrannt haben.

Ich setze zur Insel Ometepe in diesem groessten See Mittelamerikas ueber, werde von ein paar Pannen geplagt, abends bei einem Dorffest sage ich, es muesste eigentlich gleich zu regnen anfangen und schon ergiesst sich der Himmel fuer die naechsten zwei Tage. Die vernutze ich damit, wieder das Rauchen anzufangen und es so bis nach Yucatan weitertreibe. Eine Schachtel reicht zwar fuer drei Tage, trotzdem halte ich mir immer vor, "sie wuerden dir irgendwann noch die Lunge rausnehmen." Mit einem Norweger der in Managua arbeitet, erkundige ich dann noch Teile der Insel. Die Bevoelkerung ist ausgesprochen herzlich, lebt oft in Eigenversorgung, davor ich grossen Respekt habe, ja vor jedem Versuch, sich vom Geld soweit als moeglich unabhaengig zu machen.

 

In der Kolonialstadt Granada bemerke ich zuerst einen alten Deutzlaster mit Berliner Nummernschild, laufe ueber den Zentralplatz und mustere Moni, Kolya und Tokyo, die aussehen, als gehoerten sie dazu und mit ihrem rustikalen Wohmobil seit 2001 durch die Welt reisen (unter www.jabbawouk.de). Eigentlich wollte ich gleich weiter, hier war ich ja schliesslich schon, aber es besteht Hurricanwarnung, dessen Auslaeufer mich weitere zwei Tage mit Regen festhalten. Thomas aus Potsdam faehrt mir auf dem Rad ueber den Weg, dessen Reise von Alaska nach Panama bald endet, ich hoffe er hat es noch rechtzeitig zum Konzert nach hause geschafft.

 

Auf dem weiteren Weg nach Leon besuche ich noch einen Ort, der 1998 vom Hurrican Mitch durch eine vom etwa sechs Kilometer entfernten Berg ausgeloeste Schlammflut begraben wurde und mit ihm ueber tausend Bewohner. Jetzt ist das Dorf mit Hilfe von Geberlaendern wieder neu erstanden. Eine Frau erzaehlt mir, die Kinder waeren immer noch traumatisiert, wuerden bei jedem Unwetter fragen, ob jetzt wieder eine Flut kaeme.

 

Die Unterkuenfte entlang der Strasse sind fuer meinen Massstab unangemessen teuer, mit einer Uebernachtung wuerde ich die verschworenen Sippen der Pensionsbesitzer locker ueber den halben Monat bringen. Irgendwie schaffe ich es aber immer noch, Unterschlupf zu finden, der Regenzeit wegen und aus dem wagen Gefuehl, ein leichtes Ziel von naechtlichen Ueberfaellen zu werden, zelte ich schon lange nicht mehr.  Im Grenzort darf ich pudelnass nach laengerer, gedaempft verlaufender Verhandlung einen grottigen Raum in der Herberge, dessen einziger Gast ich sowieso bin, beziehen. Drinnen stauche ich mir mehrmals das Genick beim Eintritt in den Waschverschlag, dessen feuchte Waende heim fuer hundert Kakerlaken ist. Die naechsten Tage werde ich meinen Hals nun nicht drehen koennen. Aber was will ich noch beanstanden, es ist dunkel und regnet, ich koche mir unterm Vordach noch ein Sueppchen, fuettere die Ameisen und wende mich nach innen.

 

Es passiert mir in Mittelamerika immer haeufiger, dass ich mich vom menschlichen Wesen entlang der Hauptstrasse abwende, weil ich es eher selten noch in unverseuchter Form finde, allzuoft behandelt man mich als weissen Touristen aus dem Gringoland, dafuer komme ich nicht alleine des Weges, dafuer hab ich nicht spanisch gelernt und bin es oft muede, mich nach einem langen Radtag, den Leuten, die mindestens den halben Tag im Schaukelstuhl den Verkehr beobachteten, noch zu erklaeren. Meine kleinen Freuden suche ich mir bei Tierbeobachtungen, bis hin zum beruhigenden Anblick einer Landschaft oder eines Baumes, auch sind es die schoenen Erinnerungen von denen ich zehre. Oft lohnt es den Aufwand gar nicht, sie in ihrer Gruppe zu einem Austausch zu bewegen oder von ein paar Erlebnissen zu berichten. Wichtig ist ihnen mein Geld, das ist ehrlich und genug fuer sie,  zu mehr reicht es dann eben nicht bei mir. In Tieren finde ich dagegen oft aufmerksame Zuhoerer , wohl beschraenkt sich mein Monolog eher in verbalen Liebkosungen, denn irgendwohin muss ja jeder mit seiner Liebe, doch brauch mir niemand erzaehlen zu wollen, es wuerde sich kein Verstaendnis beim tierischen Gegenueber einstellen - Tiere machen keine Unterschiede. Bei jeder menschlichen Regung dagegen huepft mir immer noch das Herz.

 

 

Auf meinen kurzen drei Tagen im Honduras entlang der Pazifikkueste, behalte ich den Eindruck, die Leute sind exotischer und freundlicher geblieben, als in den Nachbarlaendern. Es muss ja auch Gruende gegeben haben, warum Thomas und ich uns 1996 vier Monate hier aufgehalten haben. Ich geniese die kleine Schwaetzchen mit  Einheimischen, bekomme hier im Land seit langen mal wieder frisches Laecheln geschenkt. Im strahlend sauberen Hotel in Choluteca sind zwei dicke Australier angekommen, die  auf allerneuesten Raedern mit Anhaengern und ohne Zelt und Kocher von Hotel zu Hotel fahren. Sie sind in

Mexiko-Stadt losgefahren, in einigen Touristenorten auf dem Weg nach eigenen Angaben fett geworden und fragen mich nach Abkuerzungen und Faehrverbindungen gen Sueden, da es sich herhausstellt, sie haetten schon jetzt keine richtige Lust mehr zum radfahren. Eigentlich wollen sie nur nach Kolumbien, um dort ein Maedchen zum heiraten zu finden, davon haetten sie schon immer getraeumt. Wieder grollt es in mir, da es bei der oekonomischen Lage dort naheliegt, die zwei wuerden auf ihrer Brautschau auch nicht leer ausgehen. Wird sich der liebe Menschenschlag dort auch verkaufen und wie wirklich offen werden sie dann noch sein? Immer wieder bin ich frustriert, wie der weisse Massentourist bei seinen Vorstellungen von Urlaub in solch gaenzlich anderen Welten ein menschliches Chaos, bloss seines Geldes und der daraus resultierenden Uneinsichtigkeit wegen hinterlaesst.  

 

 

Dann bin ich auch schon in El Salvador, wo ich mich gerne mit Toni, unserem Freund aus der honduranischen Zeit treffen wuerde. Wir freuen uns zumindest am Telefon, aber werden uns nicht sehen, denn seine resolute Mutter, die die Firmenstricke zusammenhaelt, befuerchtet eine ausschweifende Party ( was unseren heimlichen Erwartungen entsprach ), die sich ihr Sohn, nun dreifacher Familienvater, nicht mehr leisten duerfe, so laesst sie meine Bittrufe nun nur noch von der Sekretaerin entgegennehmen. ( Ihre grosse Firma hatte damals solchen Einblick in die Politik, dass Toni uns schon ein halbes Jahr vorher verraten konnte, wer der naechste Praesident Nicaraguas sein wuerde! ) Ein Drittel der Salvadorenios, so sagt man mir, wuerde mittlerweile in den USA arbeiten.

Spaetnachmittags oeffnet ein Halbwuechsiger die Fahrertuer seines auf dem Standstreifen parkenden Wagens just in dem Moment, als ich vorbeikomme. Mit etwa 25 Sachen reisst es mir meine Vordertasche ab, aber ich komme noch gut zum Stehen. Ich verfluche den Typen, meines Rad gedenkend und wonoetiger Ersatzteile, die ich hier weit und breit nicht finde, er bekommt ein "Exuse me, man!" heraus, wie mich die Jugend des Landes schon geraume Zeit in Rapper-Manie und dem dazugehoerigen Haendegefuchtel aneiert:"What´s up, man!"  Zum hundertsten Mal erklaere ich, aber wuetender als sonst, ich sei kein Ami, er solle mich doch lieber mit deutsch ueberraschen und verspreche wie immer, er wuerde niemals einen Ami im Ausland alleine auf dem Rad antreffen. Ein echtes Wunder bleibt fuer mich, wie ausser dem abgerissenen Schutzblech und einem leicht verbeulten Kochgeschirr nichts kaputt ging.

Ein anderer haelt an und meint, es sei ja nichts passiert, ich solle mich beruhigen, denn der Revolver sitze den Leuten hier ziemlich locker. Das war gut gemeint, ich vergass - Szenen von derlei Selbstjustiz sind vor allen in der Hauptstadt an der Tagesordnung.

 

Am Abend spricht mich ein Deutscher aus seinem Auto heraus an, ich koennte bei ihm auf seinem Rancho uebernachten. Gerd ist ein Unikum: Fuenf Berufe hat er erlernt, davon den Meister als Zahntechniker. Trotz seiner 68 Jahre sprueht er vor Energie, faehrt jeden Morgen halb sechs hoch nach San Salvador in seine Firma und tueftelt dort an vier neuen Zahnprotesen, dabei hat er schon sechs laufende Patente. Seine Frau besucht ihn alle sechs Wochen fuer den gleichen Zeitraum aus Deutschland, dem er schon zehn Jahre den Ruecken gekehrt hat. Ich verstehe ihn immer mehr, dass er dort zwischen all den Hindernissen der Buerokratie seine Kraefte und Ideen eher versiegen saehe, als ausserlandes. Um des Geldes willen macht er das alles nicht, eher ist er jemand, der nicht still sitzen kann. Die Kinder seiner Angestellten foerdert er mit Stipendien, solange sie "Einsen" mit nach hause braechten. In einem Alter, wo andere laengst die Haende in den Schoss legen, plant er fuer das kommende Jahr schon wieder einen neuen Anfang auf den Philipinen.

Gerd laed mich zum Essen ein, bereitet am naechsten Tag ein nettes Fruehstueck. Sein Haus liegt nah am Strand, ist zwar recht huebsch mit gepflegtem Garten und Swimmingpool, aber wie bei seinen Nachbarn umschliesst auch dieses Anwesen eine sechs Meter hohe Mauer mit Rasierklingendraht drauf, durch den 8000 Volt jagen. Man kommt sich vor Sicherheit wie eingesperrt vor. Falls der Strom mal ausfaellt gibt es noch seine drei riesigen Hunde, welche mir einiges an Ueberwindung kosteten, mich mit ihnen anzufreunden. Dass der ganze Aufwand nicht von ungefaehr kommt, beweist die hohe Kriminalitaet des Landes.                

     

Tja, der gute Toni darf nicht kommen, so lange schon habe ich kein bekanntes Gesicht mehr gesehen, kommt es mir in den Sinn, wie haette ich mich gefreut! Ich warte drei Tage am Pazifikstrand auf ihn, in der Haengematte liegend betrachte ich das Meer, atme ein wenig durch auf meiner Jagd um nichts durch Mittelamerika. So richtig Spass bereitet mir dieses Kapitel hier nicht, vor kurzem erst sagte mir eine Frau, ich solle nicht so ernst schauen, was mir zu denken gab. Irgendwie steht hier im Zwischenkontinent immer eine Depression im Raum, die von Land zu Land variiert. In Suedamerika dagegen kann man wirklich gut haengenbleiben, dort sind sie vom Amieinfluss weitgehend verschont geblieben, hier wird man taeglich daran erinnert. Um den Begriff von einer Weltreise aber gerecht zu werden, welche mit dem Begriff "Urlaub" nicht verwechselt werden darf, gehoeren fuer mich nunmal alle Gebiete dazu, die der soweit als moeglich machbare Weg bestimmt. Solange, wie ich nun schon unterwegs bin, denke ich gar nicht mehr darueber nach, „warum ich mir das alles antue“ , frage ich den verehrten Leser etwa nach den Gruenden seines Lebenswandels?

Sicherlich ist mein Reisetempo zur Zeit viel zu hoch, als das man nette Bekanntschaften schliessen koennte, ich schiebe es auf den nach Norden hin immer wertloseren Dollar, gepaart mit dem mir vermittelten Gefuehl, staendig "weisser" zu werden, als ob „dort oben“ meine Heimat waere.

 

 

In Rekordzeit von vier Minuten passiere ich abends die Grenze zu Guatemala. Vom Pazifik kurble ich hinauf zum 1600 Meter hohen Atittlan-See. Dort wohnt Ramiro, den ich 1998 das letzte Mal sah. Damals war seine Frau gerade das erste Mal schwanger, jetzt haben sie drei huebsche aufgeweckte Kinder, von denen er das letzte in finsterer Nacht aus Mangel an einer Hebamme selbst zur Welt brachte, dabei die Einsicht ueber ihn kam, keine weiteren zu wollen - Geschenke Gottes, so drueckt er sich aus, seien sie.  Ramiro ist fuer mich ein Beispiel fuer zufriedenes Leben. Wie der visionaere Denker Thomas Morus schon im Mittelalter erkannte – und spaeter wegen seiner Unbequemheit auf dem Scheiterhaufen endete, wuerde es reichen, vier Stunden pro Tag zu arbeiten, aber es wird den Leuten ja weissgemacht, die Hauptsache sei "zu haben", anstatt "zu sein", so dass sie meinen, durch den zu erreichenden Besitz, eine Besserung ihrer Lebensumstaende erwarten zu koennen ( das suggerieren jede Menge Fernsehfilme ), er "existiert" also in seiner Mehr-Arbeit fuer einen fernen und voellig ungewissen Zukunftsbegriff. Solange, wie Reichtum den Leuten noch als fuer jeden auch verstaendliches und fassbares Lebensziel suggeriert wird, das auch noch der allergroesste Dummkopf  erreichen koenne, solange gebe ich diese Welt fuer verloren. Geld ist doch kein Selbstzweck! Das vorgesteckte Ziel ist das Ende dieses Lebens; in Tradition, Spiel, Kultur, Kunst moege man den Geist dehnbar machen, dass man irgendwann getrost, zur anderen Seite gehen kann. So versucht es auch Meister Hesse in seinem „Glasperlenspiel“ zu umschreiben. Mein Freund hier lebt bescheiden, arbeitet gerade mal zwei, drei Stunden am Tag, versorgt seine zwei Kuehe, bestellt den Garten und Kaffee, sorgt sich um die Huehner. Ansonsten hat er beneidenswert Musse fuer die Betrachtung seiner Kinder, strahlt vor innerer Stille. So gelangt man auch zu Klarheit.

Ob nun beispielsweise ein Eremit dreissig Jahre in der Wueste verbrachte und dann von seinen Erfahrungen berichtet oder ob jemand ebenso lange Geisteswissenschaften studierte - der unsichtbare Schatz, den sie anhaeuften, zeigt erstaunlicherweise  wenig Abweichungen.

Seit sein Vater vor eineinhalb Jahren starb, schlaegt jeden Morgen um die gleiche Zeit im alten Elternhaus hinten, wo ich schlafe, ein Vogel gegen eines der Butzenfenster, das davon schon Kratzer bekam. Es nuetzt auch nichts, den Piepmatz hereinzulassen, weil er nur in Panik geraten und gegen die Waende flattern wuerde.

 

Aus dem Dorf ist ein Staedtchen geworden, die amerikanische Babtistenkirche hat sich weiter etabliert, beeinflusst das Leben zu grossen Teilen. Die Idylle, die ich neun Jahre zuvor noch antraf, ist einfach verschwunden. Der malerisch zwischen kaffeebewaldeten Vulkanhaengen gelegene See ist bald vollstaendig kontaminiert, weil jegliche Abfluesse - von Regierungsstelle genehmigt - reingeleitet werden. Aber das sieht man ja nicht mehr so, seit der traditionelle Maya-Ort sogar mit Fernsehen verkabelt ist, welch Bereicherung fuer die Indios, die nun sozusagen zum Mond durchstarten koennen, ohne lesen und schreiben gelernt zu haben! Trinkwasser wird jetzt in Zehn-Gallonen-Behaeltern ausgeliefert, welche sich

zu den Kabelfernsehkosten addiert. Unterdessen baut man eine dreissig Kilometer lange Wasserleitung, die aus einem noch sauberen Fluss abgeleitet wird hierher, dann kann man noch mehr rumsauen.  An Wasser besteht ja im gruenen Guatemala kein Mangel. Auf den Tankstellen wo ich meine Flaschen

immer auffuelle, wird kostbares Trinkwasser den ganzen Tag ueber verschwendet. "Es kostet ja nichts", grinst man mich an, um mir bei der naechsten Gelegenheit unterzujubeln, wie arm sie alle waeren. ( Doch berechnen sie ihre Armut immer an den Guetern, die sie nicht haben – ein ganz weltlicher Massstab, der staendig mehr verlangt - "Liebet die Buecher!", sagt dagegen Goethe und solche, der Zeit nicht unterliegenden Schaetze gibt es sogar hier fuer den hundersten Teil eines Fernsehers.) Mindestens vier Jugendliche sind dort angestellt, um die Autos aufzutanken. Andere spuelen ueber halbe Stunden LKW mit klarem Wasser ab, beschaeftigen sich aus Sorge, den Job zu verlieren damit, alle naselang den Zementboden zu

waessern, Strohhalme und Kleinmuell in den Ausguss zu spuelen, anstatt sich mal kurz zu buecken, was ja unkuhl waere.

  

Nach einer Woche Erholung fahre ich weiter nach Antigua, dem Touristenort Nummer eins. Auch hier kauften sich die Amis ein, manche von ihnen geben Entwicklungshilfe in Form von Englischunterricht, anstatt selber anstaendig spanisch zu lernen. Man hoert ihre Sprache an allen Ecken, im Supermarkt packt eine mit der einen Hand Waren in den Einkaufswagen, mit der anderen haelt sie ihr Mobiltelefon ans Ohr und erzaehlt peinlich laut einem psychotischen Verwandten in den USA, dass Gott ihn liebt und sie alle (hier aus der Ferne) natuerlich auch. Gott im Supermarkt! Widerlich sind mir solche selbstgerechte Menschen, auf ihren finaziellen Erfolgsfilm fahrend, meinen sie alles beherrschen zu koennen - ohne ein bischen gesunden Selbstzweifel! Kurz drauf winkt mir dafuer pure Herzlichkeit, als mir ein einheimisches Maedchen zwischen den Gaengen aus augenblicklichen Zettelmangel ihren Arm entgegenstreckt, ich solle meine e-mail doch bitte draufschreiben.

 

Durch Guatemala-Stadt fahre ich an einem Sonntag, um dem Verkehrschaos wie dem ueblichen Ueberfallrisiko zu entgehen. Das war wieder eine gut Entscheidung, nur als ich spaetnachmittags fuer eine Brause an einer Strassenschenke stoppen will, beschlaegt mich auf einmal das ganze feiertaegliche Elend der Besoffenen hier, dazu sich ebenso billige Weiber anbieten. Ein Alter will sich im Vollrausch glatt umbringen, torkelt ploetzlich auf der Fernstrasse herum. Kurz darauf setzt er sich doch tatsaechlich in sein Auto und faehrt noch ein paar Meter, bevor eine den Schluessel abzieht, der Wagen aber weiter rollt, bis ich (Superman) noch dazuspringe und den ersten Gang einwerfe. Also Zeichen genug, so schnell wie moeglich die Strasse zu verlassen, weil es hier quasi zum guten Ton eines Autobesitzers gehoert, auf der sonntaeglichen Spritztour eben auch selber zu tanken.

 

Auf dem weiteren Weg begegne ich mehrmals Maennern, die offen Waffen herumtragen. Ich ueberhole so einen Taugenichts, der zur vormittaeglichen Arbeitsstunde mit einem Knecht auf der Landstrasse herumstolziert, links hat er sein Haendy gehalftert, rechts eine fette Automatikpistole, ausserfrage muss das ganz schoen unbequem sein, ohne Guertel wuerde es ihm glatt die Hosen runterziehen. Ich frage eine Frau, ob das hier gestattet sei, sie bejaht, und ohne dass ich eine weitere Erklaerung erwartet haette, sagt sie: "Guatemala ist verloren."

 

Ich freue mich auch schon aufs naechste Land und so weiter, immer in der Hoffnung, auf intelligentere Gestalten zu treffen. Das Leben entlang der Fernstrassen ist einfach nur grob und oft komme ich mir wie ein gescheuchtes Huhn vor, staendig den rasenden Eisenzuegen platz machend, staendig aeusserst rechts, wo sich der ganze Muell aus Glas, Draht, Schrauben und Steinen angesammelt hat.( Hat der Leser eine Vorstellung? Ich denke oft daran, was der Interessierte davon haelt; sicher meinen einige, ich wuerde es uebertreiben mit dem Gejammer, vielleicht fuehlt sich ein anderer auch in seinen Phantasien gestoert beim "Traum einer Radweltreise". Ich kann nur wieder auf den anfaenglichen Hinweis aufmerksam machen. )

Man unterliegt irgendwann der Normung seines Alltags, so wie ich dem der Hauptstrassen. Oft gibt es keine anderen brauchbaren Wege, das Rad wiegt so schwer, dass jeder wirklich weit wollende Radfahrer den geteerten Untergrund sucht, weil er sein Material schonen und ja auch vorankommen will. So trifft man eben auf den gesamten Schwerverkehr. Die Leute im Fuehrerhaus, wie an den Strassen, wo sie mit kleinen Laeden ihren Lebensunterhalt verdienen, sind durch den

staendigen Laerm verroht. "Der Aufstand der Maschinen", im "Terminator 3" als Idee aufgegriffen, hat laengst begonnen. Die ganze Technik, erfunden, um Menschen das Leben zu erleichtern, hat sein Leben vereinnahmt, bedraengt ihn, immer groesser, weiter, schneller zu wollen, hat ihn voellig aus seinem natuerlichen Rhythmus gebracht. 

Die Mehrzahl der Leute in Zentralamerika klammern sich aus ihrer bedrueckenden Lage heraus an die Bibel, machen sich Luft im lauten Singen, berauschen sich fuer eine Weile an Gottes Weisheit. Laienprediger schreien in den vielen sektenkirchlichen Abspaltungen uebers Land ihre Deutungen des Wortes, als haetten sie Anspruch auf "Zungenrede", heiligen sich selber. Sooft hab ich es erlebt, wie man sich selbst, nachsichtig seiner Unzulaenglichkeiten, entschuldigt, weil man ja an Gott glaube und der ihn liebe. Was Gott sich so alles anhoeren muss, wofuer er alles herhalten muss! - Gegendarstellung: Stimme vom unten: "Hilf mir!" - Stimme von oben: "Gib dir Muehe!" -

 

In der letzten Nacht im Land schlafe ich bei einer netten neugierigen Familie in der Haengematte. Der Vater berichtet mir, wie seine zwei Nichten von elf und fuenfzehn Jahren in der Hauptstadt verschwanden. Sie wurden vergewaltigt, umgebracht, Tage spaeter entdeckte man ihre Ueberreste, denen die Gliedmassen abgeschlagen wurden. Solche Taten gehen auf das Konto von den "Salvatruchas" und den "Maras Diezyocho", die es seit Salvador gibt und sich parallel bis in die Latinoviertel amerikanischer Grosstaedte ausgebreitet haben. Der Initiationsritus besteht fuer Jungen darin, sich von Gangmitgliedern ueber ein bestimmtes Zeitmass hin zusammenzuschlagen lassen, Maedchen, die aufgenommen werden wollen, muessen eine mehrfache Vergewaltigung der jeweiligen Anfuehrer ueber sich ergehen lassen. Danach bekommt man den Gruppennamen eintaetowiert, muss sich nun nur noch vor der anderen Bande fuerchten. Hier wird nicht gespasst, man bekaempft sich auf Leben und Tod. Es geht dabei um territoriale Ansprueche angrenzender Strassenzuege, den daraus entstehenden Einfluss des Drogenmarktes, der Waffenbeschaffung und der Schutzgelderpressung. Solche Gruppierungen entstanden in den sozialen Brennpunkten der Randgebiete grosser Staedte, der Trend hat laengst auch die Doerfer erreicht. Die Polizei, oft feige und korrupt, steht tatenlos daneben.

Gegen sieben Uhr fruehs trifft mich ein grosser Stein kurz neben der Bandscheibe - das schliesse ich aus dem Geraeusch, mit dem er danach auf den Asphalt polterte und der Laenge des blutigen Abdrucks, den er hinterlaesst. Geschleudert wurde er von einem Jugendlichen in seiner Gruppe,  von der Pritsche eines ueberholenden Kleinlasters herab. Die wollen nun besonders diabolisch wirken, jauchzen und johlen in unnatuerlich hohen Toenen als ich aufschreie - eher aus Schreck und Hilflosigkeit, als vor Schmerz. Etwa eine halbe Stunde vorher musterten sie mich argwoehnisch, als ich an ihnen, die auf Transport warteten, vorbeifahre. Ob die sich jetzt zu einer dieser Banden zaehlten, sei dahingestellt. Ansatzweise ahne ich, was fuer Gewaltpotenzial in der Jugend steckt. Die geistigen Kinder eines zerruetteten Landes, das 36 Jahre Buergerkrieg erst noch verwinden muss. "Krank" scheint hier erschreckende Mode geworden zu sein. Da bin ich ja mal wieder gut davongekommen und kann mir das traurige Gedankenspiel leisten, was gewesen waere, haette ich den Brocken auf die Wirbelsaeule, Bandscheibe oder gar auf den Kopf bekommen. Sollte ich doch besser Helm tragen, wegen "Steinschlag" oder gar einen Ganzkoerperschutz? 

 

 

Mit dem Schnellboot geht es dann in einer Stunde rueber nach Punta Gorda in Belize. Die drei Aussenborder heben das Boot so an, dass mein Rad auch nicht ein bischen vom Salzwasser eingesprueht wird, was mein groesste Sorge war.  Puh, ist das schwuel hier, nicht verwunderlich wie traege man ist. Die Frauen der fast ausschliesslich schwarzen Bevoelkerung halten grazioes ihren Sonnenschirm bei Rundgang im Ort. Da ist der Fahrtwind beim Radfahren eine Wohltat. Ein Rastaman, ruft mich jedoch bald aus der Mittagshitze der Landstrasse in seine Bar und schenkt mir zu viel Willkommensrum ein. Ohne Entgleisungen schaffe ich es irgendwann aufs Rad aber muss bald aufgeben, das wird heute nichts mehr. Ich bade in einem seichten Fluss und schwitze mich im Zelt lieber in den Schlaf, als dass die Muecken ueber mich herfallen. Gegen Mitternacht bringt dann immer Regen erfrischende Abkuehlung.

 

Ein junger honduranischer Familienvater laed mich zur Nacht in seine Huette ein. Diese steht zwischen hundert anderen einer  Bananengesellschaft. Jeden Tag der Woche wird er morgens vom LKW abgeholt schindet sich draussen in den weitlaeufigen Plantagen ab, kommt nach zwoelf Stunden zurueck. Dafuer bekommt er je nach dem, was er im Akkord leistet, 120 US-Dollar im Monat, 65 Dollar gehen fuer die Miete drauf. Er wuerde etwas besser verdienen, als in Honduras, meint er. Ueber hundert Jahre besteht hier schon der Einfluss der amerikanischen "United-Fruit-Company" und "Standard-Fruit-Company", einzig die Namen wurden geaendert. Wegen den unmenschlichen Lebensbedingungen kam es zu Aufstaenden unter den Arbeitern, die blutig niedergeschlagen wurden ( man ist hier zum verlieren geboren ), grossflaechig regnen Pestizide vom Himmel herab, die Leukaemie, Erbschaeden und Schwerstbehinderungen in den nahen Arbeitersiedlungen hervorrufen. Auf tausend Geburten werden neun Kinder ohne Gehirn geboren, chronische Atemwegserkrankungen sind haeufig. Seit 1977 ist das Hemagon-Pestizid in den USA verboten, doch wird weiter in diese "Bananenrepubliken" geliefert. Lasse man sie sich schmecken, nur nicht zu hastig, sonst bleiben sie einem noch im Hals stecken, die goldgelben von "Chicita", "Dole" & Co!

 

Dem normalen Belizianer ist diese Arbeit zu popelig, so holt man sich eben die Nachbarn ran. Ein Raetsel fuer mich, wie die schwarzen Jungs ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ihren Teller Essen bekommen sie von der Mama daheim, haben sie Geld, so versaufen sie´s mit ihren Kumpanen, aber an die Familie wird nichts abgegeben, da spielt man wieder den kleinen erwerbslosen Sohn. Marihuana spriesst ja sowieso in diesem Klima wie Unkraut, so sehe ich die schattigen Bushaltestellen immer von Gruppen besetzt, die ihre Joints dampfen.  Da hier die Englaender frueher waren, spricht man recht sonderbares Englisch, die Preise sind auch verhaeltnismaessig britisch, obwohl man laengst nicht so eine Auswahl an Obst, Gemuese und Teigwaren hat, wie ich´s bis hierhin gewohnt war. Ja achtzig Prozent der Belizianer leiden spaeter an Altersdiabetis, was auf ihre Diaet aus Sandwich, Huhn und Sodagetraenken zurueckzufuehren ist.

Die Mangobaeume biegen sich oft vor Fruechten, Limonen wachsen wild, aber man schuettet sich lieber die peppigen Getraenke der "Coca-Cola-Company" ein. Spaetestens hier gebe ich meinen jahrelangen Boykott auf, als wandelndes Beispiel zu gelten, auch ohne diese Produktpalette ueberleben zu koennen, denn neben Cola, Fanta, Sprite hat die Firma ihre Finger laengst auch in Natursaeften, Erfrischungstees, selbst in Mineralwasser drin, denn auch hier kann man das Leitungswasser ungefiltert nicht mehr trinken. Trotz des landesweiten schlechten Strassenbelages bei denen ihnen wahrscheinlich der Denkfehler unterlaufen ist, zuerst den Teer und danach das Kiesbett draufzuwalzen, geniese ich die Ruhe hier im Sueden, oft kreuzt fuer eine halbe Stunde kein Fahrzeug meinen Weg. "You cool", sagen sie hier zur Begruessung.

 

Auf Empfehlung fahre ich zum Strandort Hopkins, finde nach langem Suchen noch ein nettes Hostal. Eine aeltere New-Yorkerin betreibt es, die sich in Anbetracht ihrer Jahre der schwarzen Vorliebe fuer blond besinnt. Unter den Deutschen Englaendern und Australiern fand ich es dort so nett, dass ich einmal mein Zimmer offenliess, darauf einer ihrer Liebhaber sechzig Dollar stahl, was mir vorher nur einmal im Senegal passierte. Dumm waren wir ja beide, weshalb ich keinen Aufstand daraus mache und nur er eben das schwarze Schaf unter den anderen war. Ein Schaf auch deshalb, weil er bemerkenswerterweise so anstaendig oder unauffaellig vor Skrupel sein wollte, die andere Haelfte meiner Barschaft dazulassen.

Ein Elend hier am Strand sind morgens und abends die Sandfliegen, die nur ausbleiben, wenn eine Brise geht. Besser als jedes Mueckenspray erweisst sich ganz normales Speiseoel, so dass das Fliegenvolk nun keinen Halt mehr vor Schmiere auf der Haut findet.

Einmal fahren wir im Motorboot raus auf eines der hundert Riffe vor der Kueste. Wir schnorcheln, koedern kleine Fische, werfen die Angel aus und mit kleiner Fahrt ziehen wir unsere Kreise. Von Anglerglueck kann gar keine Rede sein. Die Baracudas beissen vor Jagdfieber alle paar Minuten.

Manche grosse Brocken schnellen aus dem Wasser, lassen sich auf die Entfernung nur schaetzen, zerreissen die Sehne oder man spult ein, weil kein Widerstand mehr spuerbar ist und wundert sich ueber verbogene Haken. Der Fang reicht locker fuer eine Woche, wir nehmen sie aus, filetieren sie und duerfen zusaetzlich zur Ausfahrt auch noch fuer`s Abendessen zahlen.

Nachts zieht dann ein Unwetter herauf, wie ich meine, es noch nie erlebt zu haben. Donnerschlaege bersten, taghelle Blitze summen, selten zuvor hab ich mich so auf den naechsten Morgen gefreut. Das Wasser steht fuenfzehn Zentimeter im Raum, ein Maeuschen sucht sich ein trockenes Plaetzchen unter meiner Matratze, da gibt es wenig zu tun, als abzuwarten, bis das Wasser wieder gesunken ist.

Ein paar Tage spaeter bemerke ich abends, dass ich meine Schirmmuetze, die beste die ich hatte, von Geovanny geschenkt bekommen, vermisse. In der Hoffnung sie wiederzufinden, fahre ich am naechsten Morgen vollbepackt zurueck, nur ein paar Kilometer war der Vorsatz, daraus einundzwanzig werden, bis zu dem Punkt, wo ich mich erinnerte, sie noch gesehen zu haben. Geschenke soll man ja ehren, diesmal hat sich meine Exzentrik aber nicht gelohnt, wie schon fuer Rasierpinsel, Sonnenbrille oder Bambusstock, zumindest freut sich ein anderer darueber und sie vergammelt nicht im Graben.

Ludric laed mich von der Strasse zu sich ein, die mittlere seiner drei Toechter fliegt mir bei unserer Ankunft gleich in die Arme, obwohl sie mich noch nie sah. So suess sind sie, doch kommandiert der Vater sie mit strenger Stimme. Ein gutes Verhaeltnis habe er zu seiner Frau, aber in meinem Beisein redet er kein Wort zu ihr. Das ist auch typisch schwarzes Verhalten fuer mich. "Zuckerbrot und Peitsche", "den Zucker holen sie sich schon..." Hier werde ich staendig an Afrika erinnert. Es sind alles ganz liebe Gemueter, aber so verspielt, wie einfach. Jede Anstrengung zur Zucht und Ordnung (natuerlich hat das einen pikanten Beigeschmack) wirkt uebertrieben, gekuenstelt, wie ein relikt aus Kolonialzeiten uebernommen. Irgendwie sind sie wie hilflose Kinder in Erwachsenenkoerpern, ganz natuerlich, aber nicht gerade "brauchbar" fuer diese Leistungsgesellschaft, was in meiner Auffassung gar nichts Abwertendes ist.

 

Auf seinem Grundstueck stelle ich dann mein Zelt auf, dusche den Schweiss herunter, um vor den Muecken kurz meine Ruhe zu haben, treffe mich mit den Dorfjungs auf der Strasse, wo ich fuer Schnaps - normalerweise trinken sie hier nur Regenwasser - und Zigaretten herhalte, wundere mich, dass manche sich untereinander mit "Nigger" anrufen und ein paar sinnlose Neidluegen loslassen. Um irgendwie zu Geld zu kommen, gehen viele von ihnen zur Polizei oder zum Militaer, wen wundert`s also, wie sie mir ihr Land in den Himmel loben.

 

Am naechsten Tag halte ich beim ueberbelegten Staatsgefaengnis, um mir am Kiosk Zigaretten zu kaufen, als sich dem Komplex gerade ein "verdaechtiges Subjekt" mit auffaellig rotem Shirt ueber die ausgedehnte Gruenflaeche annaehert. Sofort stellen ihm einige Waerter mit MG und Pumpgun nach, Schuesse fallen, selbst ein Pick-up rast los - meiner Meinung ein Ablenkungsmanoever, waehrend es auf der anderen Seite vielleicht gerade richtig zur Sache geht; ich fahre lieber mal weiter. Ueberdurchschnittlich viele zerissene Reifen liegen entlang der poroesen Strasse, die durchs ganze Land keinerlei Distanzangaben anzeigt, auch meine bekommen hier den Rest, seit Panama fahre ich schon mit einer Beule im Vorderreifen, welche bei jeder Umdrehung ein "Bubb" verursacht. ("Nur fuer Verrueckte!", siehe Hesses "Steppenwolf". ) Das letzte Paar muss mich nun bis USA tragen.

 

 

Schliesslich bin ich in Mexiko angekommen. Erst einmal suche ich mir nach meiner Instantnudelkost in Belize ein Taco-Restaurant und genehmige mir ein paar Bier. Alles ist hier gut beschildert, die Leute koennen mir sogar die exakten Kilometerangaben sagen, ganz neu fuer mich, hoerte ich doch sonst immer nur Zeitansagen aus der Autofahrerperspektive. Als ich einmal bei der Polizei zelte, geben die mir sogar ein Bier aus. Ich fahre an vielen Cenotes , oft unergruendlich tiefen Wasserloechern in diesem Karstgestein vorbei, welche wegen ihrer Wasserqualitaet geheiligte Orte der Maya waren, in Tulum besuche ich eine ihrer bekannteren Staetten, Playa del Carmen erkenne ich kaum wieder, ein gesamter Hotelkomplex ist an den Strand gebaut, wo 1998 noch Bambushuetten standen.

 

In Cancun erklaert man mir, der Faehrverkehr nach Kuba wurde vor zwei Jahren eingestellt, so muss ich fliegen und mein Rad wieder der Unachtsamkeit ueberlassen.

 

 

Dann bin ich endlich in Havana und voller Erwartungen. Die Flugbesatzung bleibt erstmal bei mir stehen, stellt interessante Fragen, waehrend sie mir beim Zusammenbauen zuschauen. Die Frau vom Infoschalter sucht eine billigere Bleibe fuer mich aus und ruft gleich dort an, weil die Hotels hier bei 75 Dollar anfangen. Auf dem Weg in die Stadt schauen mich die Leute allesamt verwundert an, manche schenken mir ein Laecheln. Auffallend wenig Vehrkehr begegnet mir in der Innenstadt, so langsam daemmert es mir: hier herrscht ja schon lange Oelkrise, jeder Liter wird aus Venezuela importiert. Ich lande in einem Villenviertel, diese hier ist achzig Jahre alt, hat fuenf Meter hohe Decken, eingebaute Wandschraenke - die Leute haben eben frueher Stil beim Bauen bewiesen. Solche Unterkuenfte nennen sich "casa particulares", sind staatlich genehmigte Herbergen, welche je nach Groesse und nicht nach Belegung monatlich eine stattliche Summe an den Fiskus abtreten muss. Wie in den letzten Jahren der DDR gibt es auch hier zwei Waehrungen: Einmal den normalen kubanischen Peso und eine spezielle Auslaenderwaehrung, aehnlich dem "Forum-Scheck", den "peso convertible" (Umtauschpeso). Dafuer muss der Tourist auf eine Geldstube gehen, dort streicht sich der Staat zwanzig Prozent fuer Bargeldumtausch ein, von der Kreditkarte zieht er zwoelf bis fuenfzehn Prozent ab. Das Zimmer kostet mich hier 25 peso convertible. Solange man sich als Tourist bewegt, wird fuer alles gesorgt. Das Gasthaus stellt selbstverstaendlich auch ein gutes Fruehstueck fuer vier p.c. und das Abendessen fuer sieben p.c. Diese Preise sind fuer mich, selbstredend der Kategorie "Reisender" ziemlich hoch, und ich hoffe bald aufs Rad springen zu koennen, um "echtes" Kuba kennenzulernen. 

Doch Hurrican "Dennis" ist im Anmarsch, den Leuten entlang der angegebenen Zugrichtung wird geraten, sich in den Schutz fester Haeuser zu begeben. Die Gastgeber wollen ein Fest daraus machen, haben Musikanten bestellt, abends fahren wir auf der Suche nach ein paar Flaschen "Havana-Club" ins Zentrum. Praesident Fidel Castro hat schon vorsorglich den Strom abgestellt, nur die grossen Hotels haben ihren Generator. Was fuer ein beklemmendes Gefuehl, die gesamte Stadt ohne Licht in dieser rabenschwarzen Nacht zu erleben! Kurz nach Mitternacht trifft "Dennis" abgeschwaecht ein, fegt bei uns nur Zweige aus dem Mangobaum im Hof. Acerlo, unser Gastgeber feuert den Sturm weiter an, wir trinken, lauschen den Liedern, singen den Refrain.

Im Sueden der Insel hat der Wirbelsturm dagegen viel zerstoert, wie immer lehnt Fidel aber jegliche internationale Hilfe ab und laesst so gut es geht, alles selber wieder aufbauen oder siedelt bei Totalschaeden einfach um. Fuer die naechsten vier Tage bleibt das Land ohne Strom, da ein (oder: Das?) Kraftwerk beschaedigt wurde.

 

Um die Zeit hier nicht zu versitzen empfiehlt man uns, in den unbeschaedigten Westen zu fahren. Im schicken Bus, der nagelneuen staatlichen Touristenflotte fahren Manuel und Juan aus Mallorca mit mir nach Vinales, wie von oben herab schauen, wir durch die Scheiben, fuehlen die Blicke hunderter Kubaner, die entlang der Strasse auf einen Lift warten. Oft haben sie Geldscheine an Stoecker gebunden, mit denen sie den Fahrern ihre Zahlungsfaehigkeit demonstrieren wollen. Im Ort werden wir dann wie verabredet gleich ans naechste Gaestehaus weitergereicht.

Langsam tasten wir uns an die Leute heran, fragen immer ein wenig deutlicher nach ihrem Befinden und Weltbild. Fuer die Insulaner sind wir reiche Informationsquellen, sonst haben sie ja gar keinen Zugang zu unzensiertem Austausch. Fidel musste diese einseitige Oeffnung anstreben, seine Insel waere ohne diese riesige Devisenquelle der Touristen mit dem Ende des "Warschauer Paktes" laengst zugrunde gegeangen. Die Jahre 1992 bis 1994 ging als "Die schwierige Periode" in die Annalen des Landes ein. Die ehemalige Sowjetunion hatte nun genug eigene Probleme und musste ihre Hilfslieferungen 1991 einstellen. Alles wurde rationalisiert, es gab regierungsverordneten Stromausfall von bis zu achtzehn Stunden am Tag, Kutschen ersetzten Busse und Taxen (was bis heute ueberland immer noch ein uebliches Transportmittel ist), fuer viele Stunden des Tages wurden die Familienmitglieder damit beschaeftigt, vor den Laeden abwechselnd in der Schlange zu warten, alles verschwand, zuerst Kosmetikartikel, dann das Fleisch: Steak-Ersatz wurde aus Pampelmusenschale gefertigt, "Hamburgerfleisch" aus Bananenschalen, viele Kubaner begannen "jutias", eine Rattenart zu essen. Schwarzmarkthaendlern wurde nachgesagt, geschmolzene Kondome als "Kaese" auf Pizzas aufzutragen. Viele starben an Mangelernaehrung, hunderte nahmen sich das Leben, waehrend Fidel seine Durchhalteparole "Patria o Muerte!" - "Vaterland oder Tod!" kraehte.

 

Wir laufen uns Blasen auf einer langen Wanderung, auf dem Rueckweg faehrt einer dieser Personenlastwagen an uns vorbei von dem ich das Wort "Hurensoehne" aufschnappe. Klar, dass dieses Zwei-Klassen-System Wut unter denen, die nichts von dem Touristenkuchen abbekommen, hervorruft.

Zurueck in Havana will ich dann endlich auf eigene Wege, unmutig ueber die heile Welt, die uns in den Gasthaeusern untergejubelt wird, den opulenten Mahlzeiten, auch habe ich keinen Spass daran, jede Nacht Rum zu schuetten. Einmal muss ich noch den Bus nehmen, da mein Monatsvisum nicht ausreichen wuerde, eine ganze Runde zu drehen, der zweite Bus ist dann gewillt, mein Rad zu transportieren. Im letzten Tageslicht, sehe ich, wie weit und breit saemtliche Kronen der so elastischen Palmen von "Dennis" abgeknickt wurden. Nach sechzehn Stunden bin ich dann in Santiago de Cuba angekommen. Hier im schwarzen Suedosten der Insel wird mir vollends klar, dass fast alles Singletouristen, Maenner wie Frauen zum Sexurlaubauf die Insel kommen. Im Flugzeug wunderte ich mich schon, ueber meine amerikanischen Nachbarn, die mittlerweile das fuenfte Mal auf Besuch kamen. Prostitution ist zwar offiziell verboten, aber so siebzig p.c. sind drei Monatseinkommen fuer den Einheimischen, den Urlauber juckt das gleich gar nicht.

 

Abends spielen in zwei Lokalen Musikanten auf, fasziniert bin ich davon, wie jeder Kubaner ein Gefuehl fuer Musik hat, singen, ein Instrument spielen oder auch nur im Rhythmus Holzblocktrommel schlagen kann. Aber irgend etwas muss sich ja in ihrer schon 46jaehrigen Isolation unter Castros Herrschaft entwickelt haben, so eben hier diese Musik, in der immer Melancholie mitschwingt. Spaeter gibt eine Gruppe reifer Musiker ihre Vorstellung, ein etwa 80jaehriger singt schmachtend dazu und flirtet dabei durch den Saal laufend mit Damen seiner Klasse.Unweigerlich werde ich an den „Buena Vista Social Club“ erinnert, einige Mitglieder dieser spaet zu internationalen Ruhm gekommenen Gruppe entstammen ja dieser Stadt. Musik ist  nicht nur Unterhaltung oder Abwechslung, wie Sport treiben oder ins Kino gehen, starke Musik ist ein kompletter Lebensausdruck, reflektiert das Land und seine Menschen, spiegelt ihren Charakter wider. Auf ihrer Insel ist es die einzige Abwechslung zum tristen Alltag aus Bevormundung und Unfreiheit, deshalb ist sie hier so innig und umfassend.

Vorsorglich habe ich mir fuer den Radausflug kubanische Peso umgetauscht, um ueberland in Normalwaehrung zu zahlen, gegen abend stoppe ich bei einer Dorfbaeckerei, moechte ein paar Broetchen kaufen. Die Frauen hinterm Ladentisch schuetteln nur mit dem Kopf  und ruecken langsam damit raus, das Brot wuerde hier auf Lebensmittelmarken vergeben. Wieder ein Schock fuer mich. Jeder Buerger erhaelt soundsoviel Reis, Brot, Zucker und Oel als staatliche Zuwendung pro Monat. Schliesslich schenken sie mir ein paar Broetchen, auch noch etwas Zucker bekomme ich dazu. Ich zelte auf einer Anhoehe in der Naehe einer Bauernhuette, wo ich vorsichtig nach Erlaubnis fragte, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen, denn eigentlich muss jeder Tourist im Hotel oder eben im Gaestehaus auf Kuba uebernachten, Fidel will ja schliesslich Geld aus den ihm sonst unbeliebten Besuchern herausleiern.

Am Morgen klettern zwei kleine Maedchen im nahen Baum herum, endlich siegt ihre Neugierde, sie kommen heran und ich bin das erste Mal beeindruckt, wie artig und wohlerzogen die Kinder im ganzen Land sind. Bald rolle ich dann auf einer Autobahn, wo etwa alle zehn Minuten ein Auto vorbeikommt. Maenner fahren schwankend ausladende Fuhren von Feuerholz auf ihren Raedern heim. Zum Aussichtspunkt auf die US-Basis zur Guantanamobucht laesst man mich nicht ohne Erlaubnis, die ich mir in Santiago haette holen muessen rein, ich fahre noch bis zur Daemmerung, freue mich ueber ein paar erstandene Bananen, kann schliesslich in einem Stranddoerfchen neben einer Bar zelten.

Die beiden Maenner und die Frau dort haben weiter keine Kundschaft, so kaufe ich eine Flasche Rum, die sie wie Wasser einschenken, nach der zweiten muss ich weichen, falle ins Zelt und bin sofort weg. Nach acht Stunden weckt mich Kellner Roberto, ich solle mein Zelt zusammenbauen, da aus der Stadt bereits schon ein paar LKW-Ladungen sonntaeglicher Strandbesucher eingetroffen waeren. Die mustern mich alle freundlich im vorbeilaufen, Roberto und sein Kollege oeffnen gerade die sechste Flasche, ohne geschlafen zu haben oder wenigstens zu wanken, gleich muss ich noch einen trinken. Dann troedele ich entlang der Steilkueste gegen den Wind, komme in ein Doerfchen, wo sie gerade sozialistischen Kindertag  feiern. Weiter dann schenkt mir ein Opa mit seiner Enkelin ein paar Mandarinen, die er feilbietet, die Kleine ist so entzueckend, dass ich ihr zu ihren Ehrentag ein paar Kekse kaufen muss. 

Am Nachmittag frage ich eine Familie vom Strand, ob ich nicht am Ufer bleiben duerfte, aber erstmal schenken sie mir leckeren Mokka aus. Der Strand ist voller grosser runder Steine, die der letzte Zyklon aus dem Meer gewirbelt hat, mit jeder neuen Welle werden sie ueber die Monate nun langsam wieder zurueck ins Wasser gezogen. Spaeter ueberrascht mich die Tochter mit einem Teller Reis und Bohnen und einem Krug Wasser. Das kann so gut schmecken! Dann wollen Vater und Mutter noch was von mir hoeren, auch auf der Gitarre. In der Nacht zieht ein Unwetter auf, ich stelle noch schnell das Zelt auf, da kommen schon Mutter und Tochter mit Kerze an, sie sorgten sich um mich, ob ich nichts ins Haus kommen wolle. Soviel Freundlichkeit – das hier ist das schoenste Kuba fuer mich gewesen.

 

In Baracoa, wo laut lokalpatriotischer Angabe Kolumbus das erste Mal die neue Welt betreten haben soll, lasse ich mich von einem Mann in sein Gaestehaus heranwinken und bin stutzig, dass er mit seinem Formular zur Touristenerfassung gerade in dem Moment den Raum betritt, als ich aus der Dusche komme. Am naechsten Tag schreckt er mich aus dem Schlaf, indem er mir die Schultern zu massieren anfaengt, was er mir schon am Vortag anbot, auf mein bestaendiges Negieren hin schliesslich sogar umsonst gemacht haette. Dabei ist er schon Vater einer erwachsenen Tochter.

Im Ort treffe ich auf mehrere Finnmaenner, die sich auch hier austoben wollen. Der eine hat in Deutschland studiert und lobt unsere Leute als viel emotionaler als in seiner Heimat. Das kann ich kaum glauben, da man den Deutschen ja oft nachsagt, so kuehl zu sein. Nach dem peinlichen Auftritt seines Freundes muss ich ihm einfach recht geben: In der Bar, wo auch ein paar „jineteros“, junge Maenner, die ihre Freundinnen einem zahlungskraefigen Freier fuer die Nacht ueberlassen, das Maedchen, aus dem prickelnden Gemisch aus Gehorsamkeit und der Gelegenheit an Abwechslung einwilligt, trinkt der Finne Bier und Rum durcheinander, bis sein Hirn Gefahr signalisiert, er gebremst werden muss. Wir, drei Einheimische und ich als Dolmetscher wollen ihn nach hause bringen, er findet soviel Aufmerksamkeit lustig und fuehrt uns eineinhalb Stunden im Ort herum, unwillig, sich seiner Adresse zu entsinnen. Wir lassen ihn kurz aus den Augen, waehrend er die Kaimauer an der tiefsten Stelle hinabfaellt, ohnmaechtig, und am Kopf blutend finde ich ihn, mit Fahrraddroschken geht es ins Krankenhaus, dort wird er wie jeder Kubaner kostenlos verarztet, in diesem Fall zweimal genaeht, er heult sich unterdess den Alkohol aus den Augen und das boese Erwachen faehrt in ihn. (Da es mittlerweile sechs Uhr ist, koennte man tatsaechlich schon wieder aufstehen.)

Am Nachmittag besuche ich ihn aus reiner Europaerliebe, er telefoniert gerade todernst mit seinem Handy, will Anzeige erstatten, weil ihn seine Erinnerung vorgaukelt, ein Maedchen haette ihn dort hinunter gestuerzt. (Fuer ihn ist der Teufel wohl doch eine Frau.) Ich schleppe ihn zum Schauplatz seines Fuenf-Meter-Sturzes und schimpfe mit ihm, er solle lieber Gott danken oder wenigstens der Aerztin und den (wunderschoenen) zwei Schwestern vom Hospital (welche Gelegenheit!). Stattdessen verkriecht er sich nun bis zur Abfahrt in seinem Zimmer. Ich traf ihn ja schon ein paar Tage zuvor einmal, wie er alles hier monierte, wahrscheinlich wird er zu hause auch eine ganz andere Version seines Abenteuers parat haben.

 

Spaeter komme ich dann am Stahlwerk des Landes vorbei, ehemals die groesste Dreckschleuder des Landes laeuft es heute wie alles auf Kuba nur noch auf Sparflamme. Rostbraun kontaminiertes Gelaende bis zum nahen Meeresufer und verschwefelte Luft sprechen fuer sich. Benannt ist es nach dem Mann, dessen Name die Textilindustrie des Landes vergoldet, der Exportschlager auf Millionen von T-Shirts ist: Ernesto „Che“ Guevara:

Eigentlich aus gutbuergerlichem Hause stammend, macht sich der Argentinier nach bestandener Medizinalpruefung mit einem Freund auf eine achtmonatige Motorradreise durch Suedamerika. Die Misere, auf die er bei der Landbevoelkerung trifft, veraendert ihn nachhaltig. (‚Mein Gott, wie lange bin ich schon unterwegs!’, denkt sich der Schreiber.) 1954 erlebt er als Voluntaerdoktor in Guatemala den von der CIA geplanten Umsturz des Landes und hilft die linke Resistenz zu organisieren. Er muss untertauchen, flieht nach Mexiko und trifft dort im November 1955 in der Hauptstadt erstmalig auf den emigrierten Fidel Castro. Gemeinsam planen sie den Umsturz auf Kuba und erreichen auf einem Motorboot mit einem Dutzend Anhaengern am Suedufer der Insel das Festland. Nach harten Monaten des Kampfes, unterstuetzt von den Bauern, wobei sich „Che“ als ausgezeichneter Stratege beweist (er schrieb zwei Buecher ueber Guerillataktik), stuerzen sie am 31.12.1958 Diktator Fulgencio Batista, der nach Spanien flieht , dort mit dem aus dem Land gemelkten 300 Millionen Dollar unbehelligt wie ein Koenig bis zu seinem Tod im Jahre 1973 lebt.

Fidel macht sich zum Staatsoberhaupt, meint, Ernesto sei ja gut in Mathematik, so wird dieser zum Finanz- und Industrieminister ernannt. Waehrend Fidel der Rationalist ist, liebt das kubanische Volk „Che“ wegen seiner charismatischen Ausstrahlung, er schreibt sogar Prosa und Philosophie, wahrscheinlich ist er der einzig wahre Intellektuelle unter Kubas Revoluzern, fuer US-Offizielle ist er der gefuerchtete Rasputin des Regimes.

Mit den Jahren fuehlt sich Ernesto nicht mehr wohl in seiner Rolle, er sieht wie sich die Dinge im Land festfahren und will die Revolution weitertragen. Er disqualifiziert sich selbst, indem er seine Stellungen und die kubanische Staatsbuergerschaft aufgibt, geht im Fruehjahr 1965 ins selbstmoerderische Exil in den Kongo, wo er mit Kinshasarebellen kaempft. Heimlich kehrt er nach Kuba zurueck, Fidel laesst ihn fallen, 1966 geht er nach Bolivien, „um ein zweites Vietnam in Suedamerika zu kreieren“, wird dort an Feldjaeger verraten und am neunten Oktober 1967 im Alter von 39 Jahren von einem angestifteten Kind exekutiert.

Castro baut ihn jetzt zur Ikone auf, 1997 werden seine Reste nach Kuba ins Mausoleum gebracht, das Jungpionier-Motto auf der Insel lautet: „Wir wollen wie „Che“ werden!“ 

 

Es bereitet mir einige Muehe, Futter zu besorgen, in den Markthallen sind die meisten Staende geschlossen, ich bin schon froh, wenn ich Zwiebeln und Knoblauch bekomme, mal eine ueberreife Papaya oder ein paar Mangos. Ich komme ja immer zu spaet, denn weiss ich wie die Einwohner , wann es frische Ware gibt? In die Schlange reihe ich mich dann fuer Brot, was ab so halb vier nachmittags verkauft wird oder an solchen „Delikat-Laeden“, wo ich fuer den Umtauschpeso Nudeln, Bruehwuerfel, manchmal auch Tuetensuppen und Zigaretten bekomme, die normalen Zigarren haben mit den fuers Land beruehmten gar nichts gemein, sind einfach zu harter Tobak fuer mich.

Als ich einmal bei einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft zelte und spaeter mit meinem Kurzwellenradio der „Deutschen Welle“ lausche, sind die Leute stumm vor staunen, weil sie ja nur kubanisches Radio und Fernsehen kennen, jedes Geraet mit Sperrfrequenz gebaut wird.(dagegen kann man ueberall auf der Welt aber kubanisches Revolutionsradio empfangen, was zumindest in den USA, von wo aus ich schreibe, informativer ist, als der Muell, den sie hier als Weltnachrichten loslassen.)

Am Strand darf ich sogar mal fuer einen Umtauschpeso in einer Art FDGB-Bungalow schlafen, Michael schleppt mir dort aus 200 Metern Entfernung einen Eimer Suesswasser heran und verweigert, sich auf die Brust klopfend, jegliche finanzielle Abfindung. Allerdings will man mich morgens um sechs schon wieder rausschmeissen.

Die Strassen sind fast immer aus Beton gegossen, die Absaetze alle zehn, zwanzig Meter mit Teer verklebt, so muss ich langsam durchs Land fahren, sitze laenger als geplant im Sattel, holpere insgesamt 1400 Kilometer und endecke taeglich einen neuen Riss an den Oesen meiner Hinterradfelge. Die meisten Autos sind schrottreif, husten verbleite Benzinwolken, schlimmer als die Amikreuzer aus den vorrevoluzionaeren Zeiten sind die blauqualmenden oder schwarzrussenden Sowjetlaster und –busse. Alles kaputt hier, alles, alles kaputt! Dazu prangen einen ueberall Fidels sozialistische Mahnungen von grossen Aufstellwaenden an.         

So viele Laender habe ich schon besucht, hier komme ich voellig ins Gruebeln, ich bin schlicht etwas ueberfordert. Da winkt pure Herzlichkeit, dort ist man schon voellig geldgeil an den Touristen geworden, selbst in das erbaermliche Gefuehl zu geraten, nicht frei reden zu koennen, eher aus Sorge, andere nicht in Schwierigkeiten zu bringen, bleibt einem nicht erspart. So tief wollte ich gar nicht schauen, manchmal bereue ich es schon, nicht nur auf zwei Wochen Strandurlaub gekommen zu sein, das waere gerade ausreichend gewesen, um zu geniessen, alles weitere ist eher etwas aufreibend.

 

Bei Fidel (Sammelbegriff) bekomme ich dann auch noch Fieber von den letzten Tagen aus zuviel Hitze, wenig Schlaf und etwas unzureichende Ernaehrung fuer Radfahreransprueche. Seine Frau Virginia und er kuemmern sich ruehrend um mich, wie um ihren Sohn, der vor drei Jahren an Blutkrebs verstarb. Im selben Jahr verloren sie im Hurrican auch ihr Haus am Strand und wurden in diese Huette umgesiedelt. Durch ihn bekomme ich erst einen richtigen Eindruck vom Land. Auf was sie hier nur warten wuerden, frage ich ihn in seiner verzweifelten Lage, erzaehle vom friedlichen Umbruch in Ostdeutschland, er haette doch gar nichts mehr zu verlieren.( Waere es nicht so ein am traegemachendes Klima auf Kuba, die „Gegenrevolution“ waere sicherlich schon laengst erfolgt. Aber man bekommt ja sein Unterhaltsgeld oftmals zusaetzlich zu den Lebensmittelmarken geschenkt, harte Arbeit kennen die wenigsten und von Freiheit hat man sowieso seit einem halben Jahrhundert keine Vorstellung mehr.) Am Tag der Unabhaengigkeit haelt Castro, mittlerweile 79 Jahre alt, eine seiner beruehmt beruechtigten Reden auf allen Fernseh- und Radiokanaelen. Ueber vier Stunden erklaert, hetzt, eifert er ununterbrochen, anscheinend ohne Vorlage, nicht mal ein Glas Wasser steht auf seinem Pult. Er hat ja die besten Aerzte, seine Familie ist fuer Langlebigkeit bekannt. Wie lange wird das noch so weitergehen? Trotz guter Bildungsmoeglichkeiten ist man hier chancenlos gleichgestellt, ich traf eine Zahnaerztin, die mir, ohne darueber zu klagen erzaehlte, sie wuerde umgerechnet 14 Dollar pro Monat in Ausuebung ihres Berufes erhalten. Man hat hier nicht viel zu erwarten, dafuer feiert man mit 14 Jahren schon das Fest der sexuellen Reife, aehnlich wie im Osten die Jugendweihe, man heiratet frueh, die Scheidungsrate ist entsprechend hoch. (Castro selbst soll zwoelf Kinder von neun verschiedenen Frauen haben!)

Bis zu einem gewissen Punkt kann ich Fidel Castro ja nachvollziehen, einen Gegenpol zum alles ueberschwappenden Kapitalismus zu bilden. ( Suedamerika ist mit dem starken Venezuela, mit Brasilien, Argentinien und neuerdings auch mit Bolivien seit einiger Zeit dabei, einen Weg zu einer sozial vertraeglicheren Gesellschaft einzuschlagen.) Hier erinnert es mehr an totalen Existenzialismus, und nichts gibt es daran zu beschoenigen, dass er Kubas Volk wie unmuendige Kinder regiert. Seine Revolution ist laengst zum Stillstand gekommen, er kann den Kurs nicht halten, im Weg zu einer wirklichen Oeffnung steht eine beginnende Senilitaet und seine Liebe zur Selbstdarstellung als Vater der Nation.

- Was kommt nach ihm?: Durch die Naehe zur USA und den vielen Exilkubanern in Florida, die ihre                               Verwandschaft unterstuetzen, einfach die klassische Vermarktung, die finanzielle Einverleibung der Insel als ein weiteres sicheres Urlaubsparadies fuer die veraengstigten Amis.

 

Im Doerfchen reicht man mich auf Espressos herum, besorgt mir Tabletten. Fidel bringt mich zur Sonnenaustreiberin, einer alten Frau, die mir ein offenes Flaeschen Wasser verkehrherum aufsetzt, saemtliche Heiligen anruft, bis das Wasser im Glas tatsaechlich zu kochen anfaengt und mir die Hitze aus dem Kopf steigt. Nicht mal danke sagen darf ich, weil die Kraefte dafuer ja nicht von ihr kamen. Am naechsten Tag gehe ich nochmal zu ihr, sie erzaehlt, gestern seien noch fuenf andere mit Hitze zu ihr gekommen, es sei ein ganz alltaeglicher Dienst fuer sie.

 

Spaeter besucht mich auf der Weide beim Zelten auch einmal die Geheimpolizei, nachdem erst sichtlich Uniformierte nach mir sahen. Die fragen mich allerhand Zeug bis hin zu meiner Ausruestung, ob ich ein GPS-Geraet (zur Lokalisierung militaerischer Stuetzpunkte) dabei haette. Dass sie mir aufs blosse Wort glauben, macht sie schon wieder harmlos, ja symphatisch. Bei einem netten Bauern, der mit Milchkuehen beschaeftigt ist, erfahre ich, auf das illegale Schlachten einer Kuh staenden hier zwanzig Jahre Zuchthaus – so streng halten es ja nicht mal die Inder mit ihrem heiligen Tier! Manchmal verkaufen sie an den Strassen Kaese, wenn dann ein Lada an kommt,  verschwinden sie schnell in die Buesche, es koennte ja Zivilpolizei sein, Schwarzmarkt floriert zwar schon an allen Enden, aber offiziell darf es Freiverkauf noch nicht geben.    

Zurueck in Havana stellen sie im Gaestehaus fest, ich haette ganz schoen abgenommen, auch glaubten sie nicht, dass ich das schaffen wuerde, ich sei nun ein Held. Naja, auch wenn man auf Kuba schnell zum Helden gemacht wird, bin ich doch recht stolz auf mich nach dem ganzen Stress. Die restlichen Tage schaue ich mir dann die Stadt an, Havana ist ja 1981 mit seinen kolonialen Gebaeuden aus Zeiten seit der Ankunft der Spanier zum Weltkulturerbe erklaert worden,  gleich ein paar Schritte abseits der Touristenzentren, tummelt sich das Leben der Staedter zwischen den verwitterten Fassaden der Nebenstrassen.

In der Naehe hatte Ernest Hemingway seine „Finca Vigia“, wo er mehr als zwanzig Jahre wohnte, stadtbekannter Stammgast einiger Bars war. Nach der Revolution musste er sich 1960 zwischen seinem Land USA und seiner Heimat Kuba entscheiden, das war dann sein Ende, „Papa“ konnte nicht mehr schreiben, wurde gegen seine Depressionen mit Elektroschocks „therapiert“ und beging 1961 in Idaho Selbstmord.

 

Erinnert sich der Leser noch an die Raketenkrise 1962, als die Welt haarscharf an einer atomaren Katastrophe vorbeischlitterte? Castro selber setzte alles daran dieses Unheil herbeizufuehren, drueckte eigens den Knopf einer russischen Boden-Luft-Rakete und holte ein amerikanisches Spionageflugzeug vom Himmel. „Nun werden wir ja sehen, ob es ein Krieg ist oder nicht.“, waren seine Worte zu den mehr als nervoesen Russen im Kommandoraum.

Die Kennedys planten wegen der Gefahr, die von ihm ausging eine neue Invasion fuer 1964, aber bevor diese ausgefuehrt werden konnte, wurde der Praesident von Lee Harvey Oswald erschossen. Es bestehen Geruechte von kubanischer Komplizenschaft am Mord und Washingtons Verdeckung darueber, um einen womoeglichen Dritten Weltkrieg zu vermeiden. Castro konnte nun in Ruhe seine sozialistische Revolution fortfuehren.

 

Am Flughafen nimmt mich der Typ beim Schalter dann mit dem Rad beiseite in einen Korredor und will mir einen Spezialpreis fuer das Extragewicht des Rades anrechnen, solcherlei Benehmen unterliegt einzig immer der Verfuegungsgewalt des jeweiligen Beamten. Ich sage ihm entschlossen, er sei korrupt und gehe mit ihm zu seinen Kollegen. Die sind alle verschworen und er meint dann wieder unter vier Augen, ich zahle jetzt den vollen Preis denn ich sei „malo“, - boese. Nun haette ich mich wegen dieses Spruches noch gerne viel mehr mit ihm angelegt, am besten ausserhalb des Gebaeudes, statt dessen biss ich mir auf die Lippen, weil ich sonst noch Rache in Form eines demolierten Rades vermuten musste. Man leiert mir buchstaeblich die letzten 100 Bardollars heraus, die ich ja gegen Fidels Abschlag erst wieder in Umtauschpeso wechseln muss. Die Wechslerin sagt noch schnippisch, wenn es mir nicht gefallen haette, braeuchte ich ja nicht wiederzukommen. –  Um Kuba zu sehen, bin ich extra 1500 Kilometer ueber Guatemala, Belize und Yucatan gefahren, so wert war es mir! Das soll also mein  letzter Eindruck hier sein! - Soll doch alles erstmal zusammenstuerzen, damit was Neues drauf entstehen kann.

Man laesst uns Touristen wie Vieh noch eine dreiviertel Stunde im verschlossenen Transfer-Bus in der Sonne schmoren. Eigentlich muessten sie sich bedanken fuer das viele Geld was die Touristen dalassen, Kuba waere schon laengst ein anderes ohne diese Finanzspritze – ganz sicher auch ein reineres, wie ich es auf dem Land manchmal erlebte.

 

 

Zurueck in Cancun atme ich auf, das Land hat mich muede gemacht, ich brauche drei Tage, um mich davon zu erholen. Wochen spaeter sehe ich zufaellig Wim Wenders Film vom „Buena Vista Social Club“ und endlich ueberwiegt dieses Gefuehl, was sich nach Versoehnung sehnt. All das schafft Musik. Mit welchem Mass misst man? Dass bloss die Kunst regiere. Das Leben – ein Lied. Ein Lied sei das Leben!

 

Dann fahre ich zur etwa 1500 Jahre alten Maya-Stadt Chichen Itza und laufe einen Tag durch das weitlaeufige Gelaende aus Tempeln und Pyramiden. Nach Kalakmul, Tikal und Palenque, von denen ich die letzeren zwei schon frueher einmal besuchte, soll dies hier die viertgroesste Mayastaette sein. Die Hauptpyramide heisst Kuculcan, hat auf jeder ihrer vier Seiten 91 Stufen, die zusammen mit der Plattform den 365 Tagen des Jahres entsprechen. Alles besticht durch beeindruckend mathematische Harmonie in ihrer Ueberzeugung des Zeitlaufes. Saemtliche Mayastaetten, ebenso die aegyptischen Pyramiden, wurden nach dem Sternbild des Sirius ausgerichtet.     

 

Ihr Kalendersystem berechnete sich nach dem siderischen Mondzyklus von 27,32 Tagen in denen sich der Mond einmal um die Erde, wie auch um seine eigene Achse dreht (weswegen wir ihn stets von der gleichen Seite aus betrachten). Ebenso vollfuehrt die Sonne in dieser Zeit eine Runde um sich selber.

Das entspricht exakt dem Zyklus der Frau und ebenso der Zeitspanne in der sich unsere oberste Hautschicht komplett erneuert. Man bemass das Jahr mit dreizehn Monden zu je 28 Tagen, beginnend mit dem heutigen 26. Juli und schliessend mit dem des 24. Juli, der fehlende Tag wurde nicht als Wochentag berechnet, sondern als Feiertag zelebriert. Statt unserer Schaltjahre aller vier Jahre wurde aller 52 Jahre ein 13-taegiges Fest „ausserhalb der Zeit“ auf dem „Raumzeitschiff Erde“ abgehalten, nach diesem „Zeit-Raum“ war dann als galaktischer Synkronisationspunkt fuer den neuen Zeitabschnitt das Sternbild des Sirius am Morgenhimmel zu sehen.

In unserem gregorianischem Kalender, der vom Papst Gregor dem Achten rueckwirkend bei dem vermeintlichen Datum von Christi Geburt wie der Erscheinung eines hellen Sternes beginnt und eher theologische denn mathematische Dimensionen hat, zaehlt man den Monat von Neumond zu Neumond, der so durchschnittlich auf 29, 53 Tage kommt, pro Jahr mit etwa drei Minuten nachschleift, ganz abgesehen von dem Durcheinander mit den 30sten, 31sten , 28sten und 29sten Tagen dieses hinkenden Systemes. Aufgrund der Erkenntnislast bestehen in hoeheren Kreisen tatsaechlich Anstrebungen einer Angleichung unseres Kalenders an den der Maya.

In den Weltreligionen rechnet man ja auch intern immer noch die Jahre seit der Sendung ihres jeweiligen Fuehrers, wie der Buddhismus das Jahr 2250 zaehlt, der Islam das Jahr 1350 und die Juden seit Abraham im Jahr 5666 leben.

Die ernstzunehmende Theorie hinter der Idee einer Uebertragung des Mayakalenders versteht sich als Chance die jetztige Welt mit ihrer Menschheit vielleicht wieder ins Gleichgewicht, in einen harmonischeren Einklang zu bringen. Man(n) zoelle beispielsweise der Frau auch entsprechend Tribut als „Menschenmutter“, koennte sich ihr biologischer Rhythmus an diesen Kreislauf aus Galaxie, Sonne, Mond, Erde so blindlings verlassen; das bestehende Patriarchat - eine maennliche Geschichte aus Kriegen - wuerde sich dem Matriarchat annaehern, nicht um eine neue Polarisierung anzustreben, doch als ein ausgleichendes Gewicht auf des Menschen irdischer Wanderung zu wirken.

 

Bei der Frage, woher alte Kulturen ein derart hohes Mass an Wissen hatten, draengt sich mir immer mehr die Erkenntnis auf, gerade wenn man die Zeit als weitere Dimension akzeptiert, dass wir NICHT allein sind. Im Haupttempel in Palenque liegt tief unten im Schacht eine Tafel, die so verbaut ist, dass sie nicht herausgeholt werden kann, darauf Gravierungen auf ausserirdische Besucher weisen. Die Behauptung vieler Hollywood-Streifen, es gehe eine Gefahr davon aus, schlussfolgert sich aus dem Menschenwahn um „Gut“ und „Boese“, daraus der Mensch SEINE Geschichte zu basteln versucht.

Selbst in der Bibel finden sich Hinweise auf Besuche fremder Wesen und Anschauungen ihrer Technologien, so kann man es im ersten Kapitel des Buches Hesekiel nachlesen. Dem Gott wird dadurch keinerlei Heiligkeit abgesprochen, er laesst sich nicht einnummerieren, schaut sich unser Treiben an, weist durchs irdische Leben, oeffnet soviele Tueren, wie wir zulassen, denn jeder gibt ihm nach eigenem ermessen seinen Platz, seine Wohnstaette in sich selber.

 

Wenn es denn Kontakte gab, wie sind diese zustande gekommen? Wahrscheinlich war der damalige Mensch einfach andaechtiger und lauschender, konnte solche „Fenster“ eher wahrnehmen, als heute, wo es jeder nachkommenden Generation immer schwerer faellt, sich zu konzentrieren, vor lauter Kurzweil aus medientechnischer Ablenkung. „Wozu lesen? – Es gibt doch Fernsehen!“, „Wozu fasten? – Essen befriedigt mich!“, „Natur ist mein Feind.“. „ Der Tod macht mir Angst.“ Bis hin zu:“ Denk nicht soviel nach.“ Oder unterstellend: „ Du kannst die Welt nicht aendern.“, als gutgemeinte Aufforderung zur Oberflaechlichkeit.

Das zweite Phaenomen: Man wird nur fachbereichlich gefoerdert, es gibt keine Lehre der zusammenhaengenden Wissenschaften, jegliche Vernetzung fehlt.

Auch die Idee von „Nation“, um die Leute in eine Richtung zu leiten, findet immer weniger Interesse, weil das Individuum sowieso nur fuer oekonomisch-politische Zwecke missbraucht wird. Den Machern unseres Automobilzeitalters sind schlicht schon lange die Ideen ausgegangen!

 

Nach Merida, der groessten Stadt auf Yucatan fahre ich zweimal, dann mache ich noch einen Abstecher zu den Mayastaetten von Uxmal. Freue mich, wie mir manchmal einfach so kleine Indiokinder zuwinken, vor allen die Frauen immer freundlich zu mir sind, aber aergere mich ueber solche traegen maennlichen Gestalten, die anscheinend nur ein halbes Gen vom Affen trennt, so wie sie mich anquatschen in der Meinung, die Hoeflichkeit muesste es mir nun als Auslaender gebieten, dialektisch auf sie zu wirken. Diese abertausende nenne ich bei mir „Autozaehler“, sie sitzen im Schatten vor den Laeden an der Strasse, zeigen auf mein Rad und behaupten plump, ohne Anrede, Satzkonstruktion oder wenigstens den dazugehoerigen Artikel zu verwenden: „Fahrrad“, um nur eine der exemplarischen Variationen  zu nennen. Mir dagegen trocknet gerade der Gaumen aus und der heisse Wind hat meine Stimmbaender gebleicht.

 

Die Hinterradfelge will nun wirklich nicht mehr, zum Glueck schleppe ich, seit ich aus Bolivien nach Kolumbien zurueckflog eine gebrauchte mit. Diese „Notfelge“ war schon 25000 Kilometer auf dem Hinterrad eines kanadischen Tandems, bis sie in La Paz umgetauscht wurde. Leider hat sie einen dicken Hoehenschlag drin, dass die nun zu kurzen Speichen kaum fassen, war mir ja klar. Wieder muss ich mit diesem schon bekannten aber niemals vertrauten „Bubb“-Schlag bei jeder Umdrehung weiterrollen. Am meisten sorgt mich ja, wie der Rahmen, ohnehin schon schwer belastet, zusaetzlich durch diese staendige kleine Erschuetterung beansprucht wird. Fuer solche 28er-Raeder wie meines findet man ausserhalb Westeuropas, Australiens und Nordamerikas so gut wie nirgends Speichen, Felgen, Reifen und Schlaeuche, hoffentlich haelt alles die 5000 Kilometer bis Los Angeles.

Hinter dem gemuetlichen Yucatan hat mich dann der Schwerverkehr wieder eingeholt. Obwohl ich einen grossen Bogen um den Ballungsraum der Hauptstadt mache, waechst der Horror wieder Tag um Tag. Meine Traeume sind mir in solchen Zeiten immer andaechtige Gegenstaende die mich durch den Strassenalltag begleiten.

 

Das letzte Mal am Strand schuettet es die ganze Nacht. Ein seltsames Gefuehl, dabei so nah am Wassermeer zu zelten. (Einen Monat spaeter wird diese Gegend, wie auch die bereisten Kuestenorte Yucatans von Hurrican „Stan“ verwuestet sein.) Aber ueber Nacht hat das Strandgras einen hellblauen Bluetenteppich gewebt.

In Poza Rica erlebe ich dann den Unabhaengigkeitstag, der mit einem abendlichen Marsch beginnt, und um Mitternacht in jedem Bundesstaat mit dem dreifachen Ausruf: „Viva Mexico“des Praesidenten wie der Gouverneure zelebriert wird. Dann kommt das Feuerwerk und man geht zum froehlichen Gelage ueber.

Langsam geht es ins hoehergelegene Zentrum des weiten Mexikos. Die Staedtchen strahlen Gemuetlichkeit aus: Um den Stadtpark, dem „Zocalo“, sind die Geschaefte angesiedelt, die Maerkte und Budenzeilen, wo es alles frisch und billig gibt (wie werde ich das bald schon vermissen). Jeder laeuft sich dort uebern Weg und haelt ein Schwaetzchen. Abends probieren sich dann die Jungen bei den ersten Kussversuchen, dort wo Opa schon die Oma umschmeichelte.

Die Maenner tragen hier ihren obligatorischen Schnauzer. Da sie eher kleinwuechsig sind muss man frueher oder spaeter auch in den Besitz recht hochhackiger Straussenlederstiefel, am besten mit Stahlspitze, gelangen. Eine derbe Jeans verziert die Beine, wie ein kariertes Baumwollhemd mit einer Fransen-Wildlederjacke die Fuelle des Bauches hervorhebt, welche auf Wohlstand deuten soll. Oben setzen wir dann noch einen breitkrempigen Cowboy-Hut drauf und fertig ist das gaengige Bild des Zentralmexikaners. (Nur - ich kann`s mir mal wieder nicht verkneifen - macht das noch lange keinen Mann.)

 

Das Essen wird auch typisch mexikanisch. Gegen Abend werden die Taco-Staende entlang der Strassen geoeffnet, auf grossen Pfannen wird zu Wuerfeln gehacktes Rindfleisch mit Zwiebeln angebraten, dieses dann mit einer Petersilienart in Maistortillas gereicht, in kleinen Schalen, stehen dann pikante Sossen, Gewuerze und Tomatenhack bereit. Es gibt verschiedene Eintoepfe und Bohnensuppen, gegrillte Maiskolben und allerlei Fruchtsaefte mit Milch oder Wasser. Abends, wenn der Koerper nicht mehr arbeitet, essen sie am liebsten, weshalb viele Mexikaner eben auch ihre sympathische typische Rundlichkeit aufweisen. Mariachis, die traditionellen Strassenmusiker, stehen geputzt bereit, fuer Trinkgeld den Liebespaaren aufzuspielen.

Fuer die Fahrt hole ich mir, wenn ich in Staedten bin am liebsten so eineinhalb Pfund frischer, noch warmer Weizentortillas aus der Backstube, von denen ich mir die Haelfte dann immer schon vorher eindrehe und natuerlich noch ein paar Orangen oder Mandarinen, ein, zwei Bananen.

 

Bevor ich bald Nordamerika erreiche, muss ich einmal erwaehnen, wie es in ganz Lateinamerika ueblich ist, die Handgelenke zu dehnen oder jeden Finger einzeln zu ziehen, bis sie krachen und knacken, wahrscheinlich in der Vorstellung, man wuerde den Gliedmassen dabei etwas Gutes tun, anstatt den Koerper mal ab und zu etwas Kalzium in Form von Milchprodukten zuzufuehren, worauf ich sie dann des ekligen Geraeusches wegen immer hinweise.

Auffallend ist, wie wirklich alle zehn Meter im ganzen Land – und das habe ich ueber Wochen beobachtet – auch auf den entlegensten Landstrassen anorganischer Muell rumliegt, der einfach nicht verrotten will. Kein Gedanke wird an die Umwelt verschwendet, alles schmeisst man voellig gleichgueltig aus dem Fenster, selbst Polizisten habe ich in ihrem Dienst dabei beobachtet.

Indioangewohnheit scheint es dagegen zu sein, ohne Bremslichter zu fahren, ich hatte es in Guatemala wieder erlebt, wie auch hier, vielleicht sind sie auch so frech, den auf ihre Rostlauben womoeglich Auffahrenden dann schroepfen zu koennen. Auch meinen erschreckend viele, sich durch Dauerwarnblinken ein Recht auf Raserei einzuraeumen. Manchmal donnern die LKW  an mir vorbei, dass selbst Strassenschilder umkippen und ich vom Dreck der Strasse oder auch von loser Ladung sandgestrahlt werde. Andere fuchteln hinter ihrem Lenkrad herum, ich solle verschwinden. – Ja wo soll ich denn hin? Die meisten LKW-Fahrer feiern sich, als haetten sie einen akademischen Grad, nehmen sich so ueberaus wichtig und sind fuer mich das Beispiel, schon mehr Maschine als Mensch zu sein. Ich bin sicher, meine paar grauen Haare kommen von solchen grauenhaften Momenten, ansonsten habe ich ja nicht viel auszustehen. Ganz dankbar bin dann immer ueber ein freundliches Wort oder ein Laecheln. Gebildetere Leute als die Strassengeschaedigten zu finden, erweist sich als schwierig, da es dem Sinne der „Aufklaerung“ widerspricht, sich aufzudraengeln. Aber solche seltenen Zufaelle ergeben sich zum Beispiel, wenn ich in Schulen uebernachten darf,  ich bin immer hoch erfreut, wie sich durch das Austauschen von Ansichten aus Geschichte, Wissenschaft und Religion unausgesprochen Freunde zu erkennen geben.

 

Ansonsten versuche ich, wenigstens nachts meine Ruhe vor dem LKW-Laerm zu haben, fahre immer einige hundert Meter auf Feldwegen ins Land, aber es nuetzt recht wenig, weil man ihre Auflaufbremsen kilometerweit hoert.

Einmal schlage ich mein Lager in einem Kaktusfeld auf und denke nachts, der Wind zupfe am Zelt. Bald begreife ich, es sind irgendwelche Tiere, zische scheuchend,  und dann schon fluchend schlage ich gegen die Waende. Ich kann es kaum abwarten, bis es Tag wird, denn sie schleppten meine Badelatschen, die ich vorm Zelt liess, aus der Ueberlegung, die wuerden ja nicht nach Essen riechen, davon. Aus blosser Beissucht zerstoert, entdecke ich sie zwischen den Dornen ein paar Schritte abseits, die guten „Bata“ aus Java, die ich schon seit April 2003 hatte, die wahren „Jesuslatschen“, weil sie tatsaechlich auf dem Wasser schwammen. Mehr als wuetend, traurig bin ich und nochmehr, als ich beim Gang ums Zelt feststelle, eine Abspannleine ist abgebissen, eine Ecke weggekaut, auch noch eine eingerissene Naht entdecke ich.

Solange wie mir die Sandalen dienten, passten sie in keinen Muelleimer, ich suchte ein besonderes Plaetzchen fuer meine Fussfreunde und goss noch etwas Tequilla drueber - „fuer den Weg“.  Ich tippte auf Kojoten, weil sie sich so lautlos anschlichen, man erklaert mir aber, es seien cochinos javali, eine kleine Wildschweinart gewesen. („Die verdammten Schweine!“)

 

Dann bin ich endlich wieder auf den Nebenstrassen, fahre durch steppenartige Landschaften, etwa alle fuenfzig Kilometer kommt eine kleine Ansiedlung. Ich soll vor Klapperschlangen aufpassen, andere erzaehlen mir Geistergeschichten von einer trampenden Frau im weissen Gewand, in verlassenen Scheunen vor dem Wind geschuetzt schlage ich das Zelt auf, Schwaerme von Fledermaeusen umflattern mich manchmal fuer Augenblicke, ganz sonderbar ist diese so ungewohnte Stille, nach dem Laerm der letzten Wochen. 

 

Jetzt komme ich in die bergige Gegend des Tarahumara-Landes hier in der Sierra Madre Occidental. Diesen Weg schlage ich ein, weil ich zuviel vom Carlos Castaneda gelesen habe, einem US-amerikanischen Anthropologen, der hier in den spaeten Sechziger Jahren bei Meister „Don Juan Matus“, einem Yaqui-Indianer in die magische Lehre ging.

Diese wenigen Eingeweihten dieses Stammes erwarben sich durch jahrelanges Einueben von Riten und Zeremonien ein voellig anderes Verstaendnis der Dinge und damit auch eine gesteigerte Wahrnehmung. Es wird sogar von gruppenweisen Uebergaengen in eine andere Dimension berichtet, kein Sterben und Zuruecklassen des Koerpers, sondern ein spurloses irdisches Verschwinden. Und einmal so einen weiten Weg gegangen, gibt es dann auch keine Rueckkehr mehr. Der Dichter Saint Exupery, der einige Jahre im Suedwesten der USA in diesem weitlaeufigen Indianergebiet gelebt hat, war von dieser Vorstellung so fasziniert, dass er den „Kleinen Prinzen“ im Buch auf diese Weise zu seinem Planeten zurueckkehren laesst.

Meine Vorstellung von einer Begegnung, nun, ist aeusserst vage. Vielleicht, ja vielleicht springt ja solch ein Weiser hinter einem Baum hervor und ruft mich beim Namen, „Wir haben nur auf dich gewartet.“, „Komm mit, wir weisen dich ein.“ Aber nichts dergleichen passiert, nicht nur dass ich viel zu weiss fuer die Ecke bin, selbst ein Einheimischer muesste vier Jahre bei ihnen gelebt haben, bevor er ueberhaupt aufgenommen wuerde.

 

Fahrradtechnisch gesehen ist es aber die angenehmste Gegend fuer mich im Land. Es gibt nur ein paar kleine Doerfer und es ist so bergig, dass es keine schweren LKW gibt, ja manchmal vergeht eine halbe Stunde bis ueberhaupt ein Auto vorbeikommt. Angenehm kuehl ist es hier im Hochland, die Luft duftet nach den Kiefernwaeldern, es ist einfach schoen, auch die Leute sind entspannt und freundlich. Einmal rolle ich am Vormittag an einer Schule vorbei, wo die Kinder gerade draussen ihre Spielstunde haben, als sie mich bemerken, fangen sie, allesamt Tarahumara – Indianer, vor Aufregung und Freude zu jubeln an, indem sie sich, wie ich es sonst nur aus „Winnetou“-Filmen kannte, dabei vor den Mund schlagen. Ganz begeistert bin nun auch ich, aber um diese urspruengliche Situation nicht zu zerstoeren, halte ich mal wieder nicht an, weil ich sie mit meinem Fotoapparat nicht einschuechtern will, sondern winke ihnen nur zu. Oft genug sind mir solche Augenblicke menschlicher Zutraulichkeit viel zu wertvoll, als dass ich sie mit dem Hervorbringen einer teuren Kamera entzauberte, sie dabei an unsere Unterschiede erinnern wuerde.  

In Creel, dem Touristenort der Region, wo man zum Canyon „Barranca del Cubre“ stroemt, werde ich dann aber aus der Idylle rausgerissen, weil sich Scharen von Amis dort treffen, die alle nicht einsehen, mal ein bischen spanisch zu lernen.(„Leute, die zwei Sprachen sprechen, sind bilingual, solche, die mehrere Sprachen beherrschen, sind multilingual, die, welche nur eine Sprache sprechen, sind Amis.“) Meist sind es so Typen der Gattung Vietnamveteran, die sich auf ihren Motorraedern bis hierher wagten, abends sehe ich schockiert einen ganzen Gueterzug voller Motorhomes, solchen riesigen Campingmobilen mit denen die US-Rentner die Strassen unsicher machen. Allesamt koennen sie nicht einmal gruessen. „Welcome to America!“ – wie oft werde ich mir das noch denken!

 

Ich vergesse, vor meiner Weiterfahrt noch Geld zu ziehen und fahre dann mit umgerechnet zwanzig Dollar 700 Kilometer bis zur naechsten grossen Stadt, weil es keine Banken oder Automaten gibt. Das stelle ich fest, als ich noch etwa fuenf Dollar fuer die naechsten fuenf Tage habe. Das ist kein grosses Problem fuer mich, entschuldigend erklaere ich mich eher, wenn ich im Laden nur Tortillas kaufe. Die Leute sind aber so liebenswuerdig, dass sie anfangen, mir Essen zu schenken, mich zurueckrufen, kein bischen habe ich damit gerechnet!

Dann treffe ich einen Piloten, der spricht als Ami dann doch fliessend deutsch, weil er die wichtigsten Lebensjahre, in diesem Fall die ersten siebzehn in Deutschland verbracht hat. Mit seiner Cessna fliegt er in entlegene Taeler dieser unzugaenglichen Gegend, mal mit Arzt und ambulanter Station, mal um Leute ein- und auszufliegen. Wild soll es dort zugehen, fast wie im Mittelalter, erzaehlt er. Viele lebten dort vom Marihuana-Anbau (gerade ist, so weiss ich bereits, eine der zwei Erntezeiten, denn taeglich werde ich vom Militaer gestoppt und durchsucht), oft wuerden die Bauern dort mit Kokain bezahlt, woran man ermessen kann, wie verschlungen die Wege dieses Pulvers sind, wenn es von Kolumbien gen Norden losgeschickt wird.

Er haette mich glatt mal mitgenommen in solch ein Tal, wenn seine Flugzeug nicht schon voellig ausgebucht gewesen waere, so besuche ich ihn nur am naechsten Tag auf der Piste, er erklaert mir Begeisterten wie alles funktioniert, dann hebt er ab und fliegt nach Hause, ich bleibe mit meinem Rad zurueck, er winkt mir noch mit seinen Fluegeln. Das macht richtig wehmuetig, wie er so entschwindet, wer kann schon behaupten, er wuerde einen Flieger kennen?

 

In Hermosillo bleibe ich fuer vier Naechte, um mir drei huebsche Keramikfuellungen setzen zu lassen, wofuer mir der Zahnarzt gerade mal 150 Dollar berechnet, ein Spottpreis, was ich im Vergleich dazu in Amiland gezahlt haette. Auch renne ich hier nun das zweite Mal zur Imigration, weil mein zweimonatiges Visum schon wieder auslaeuft.

 

Dann fahre ich noch ein kleines Stueck nach Sueden nach Guaymas und habe eine schwere Entscheidung zu faellen, ob ich gleich weiter die Halbinsel Baja California hinaufrade oder einfach hier an Ort und Stelle zwei Monate ueberwintere, denn wenn ich so weitermache, fahre ich nach Norden direkt in den Winter hinein.

Ich setze schliesslich in der selben Nacht noch ueber. So toll, wie man die Baja beschrieben hat, finde ich sie aber nicht, es gibt eben viele riesige Kateen, die saemtlich unter Naturschutz stehen. Die Zeit, wo sich die Wale zur Paarung hier treffen ist leider auch noch nicht, es ist wuestenhaft, aber des Verkehrs wegen keineswegs einsam. Jedes zweite Fahrzeug ist ein Sattelschlepper, der auf der zweispurigen Strasse ohne Seitenstreifen nach Sueden brettert, was mich wieder stresst, weil ich den ganzen Tag wieder aufpassen, abschaetzen und eintausendmal in den Rueckspiegel schauen muss. Die anderen Autos gehoeren dann meist den Amis, die mit ihren Motorbootanhaengern auch nach Sueden nach Cabo San Lucas unterwegs sind, was vom Hippistrand zum Touristenzentrum mutiert ist.

Hinter den letzten Bergzuegen im Norden, etwa vierhundert Kilometer vor der Staatsgrenze wird es dann immer bevoelkerter, die Ruhe ist gaenzlich dahin.

 

Ich ueberlege die ganze Zeit, ob ich nicht von Los Angeles nach Bolivien fliegen sollte oder etwa doch nach Deutschland, nach drei Jahren? In San Quintin buche ich mir dann tatsaechlich per Internet einen ausgesprochen billigen Flug nach Deutschland, will nun nicht weiter darueber nachdenken. Je naeher ich der US-Grenze komme, umso spuerbarer wir der Gringohass, und da ich ja so aussehe, als waere ich von dort, macht es vor allen den LKW Spass, mich mehrmals am Tag mit einem halben Meter Abstand und Bleifuss zu schneiden, denn oft beugt sich der Fahrer dann noch nach vorn und grinst mich durch seinen rechten Aussenspiegel an. Oder ich werde von ihren Schiffssirenen angeblasen, ich solle verschwinden und wieder: Wo soll ich denn hin?

 

Eines Abends bin ich dann an der Grenze, ich solle noch auf die andere Seite, weil Tijuana nachts nicht so sicher sei, sagt man mir. Habe mir extra ein neues schneeweisses T-Shirt uebergezogen und reihe mich in das Meer aus Autos ein, die den Abfertigungshaeuschen entgegenrutschen. Dann werde ich rausgewunken, ich muss dem Fussgaengerstrom folgen. Aber da ich irgendeinen Passierschein nicht besitze muss ich drei Schritte zurueck (denn hier beginnt das grosse Monopoli) und meinen nicht einzuordnenden Fall in einem gesonderten Raum amerikanischen Philipinen vortragen, die, da sie dort teilweise auch spanisch sprechen, als Grenzbeamte verkleidet wurden. Mexikanische Grenzbeamte gibt es in diese Richtung gar nicht, weil ja alle hier ins Land Nummer Eins der Gesamtwelt wollen. Selbst ich nun, aber eher aus trivialen Gruenden einer Durchreise, der geographischen Machbarkeit wegen.

Die Philipinos wollen mich aber aus Angst, ich wuerde eine der unbegrenzten Moeglichkeiten, hier zu einer Goldnase zu gelangen, ausnutzen, nicht hineinlassen („Da kann ja jeder kommen!“) Ich muesste einen Weiterflug vorweisen, um sicher zu stellen, nicht dort bleiben zu wollen. Meine Wort darauf genuegt ihnen nicht, so war es ja sozusagen eine weise Entscheidung, mit meiner Internetbuchung. Ich renne ohne Rad zurueck und suche so spaet am Abend noch irgendein Internetcafe, um meine Buchung auszudrucken. Schliesslich finde ich einen kleinen Suesswarenladen, wo die zwei Computer schon abgedeckt sind, sogar einen Drucker steht da. Auf mein Bitten schaltet der Betreiber sie endlich nochmal an – die Mexikaner sind ja schliesslich keine Unmenschen – die zehn Peso, die ich noch habe, reichen tatsaechlich gerade fuer eine Viertelstunde Netz und die Kopie. Zurueck wird dann ein Foto und die Fingerabdruecke der Zeigefinger fuers Verbrecheralbum genommen, was ein weltweit einzigartiger Service ist, zweimal muss ich noch das Rad fuer die Vor- und Nachuntersuchung be- und entladen, dann lassen sie mich endlich ins Gelobte Land gleich hinter dem biblischen Israel.

Nach laengerem Suchen finde ich das billigste Motel der Gegend und werde 44, 35 Dollar los. An diese krummen Zahlen muss ich mich erst gewoehnen, weil sie hier immer noch die Steuern dazuaddieren, die von Bundesstaat zu Bundesstaat variieren.

 

Am naechsten Tag frage ich mich dann durch das fuenfzig Kilometer lange San Diego durch und schaffe es  noch bis zu einem Campingplatz an der Steilkueste. Am darauffolgenden Morgen sieht man ameisengleich hunderte Surfer von oben im Wasser. Zuerst einmal bin ich regelrecht beeindruckt, dass alle Autos nun schlagartig wieder ruecksichtsvoll zu mir sind, jeder den ich frage ueberaus bemueht ist, mir Auskunft zu geben, welche sich dann auch immer als richtig erweist. Und natuerlich hat nun auch der ganze „Gringo“- Mist ein Ende.

Da ich keine Zeit mehr bis zum Abflug habe, fahre ich wieder bis in Dunkelheit nach Long Beach. Es ist eine noble Gegend hier, ich zahle 79 Dollar fuer die teuerste Uebernachtung auf meiner gesamten Reise, die Rezeptionistin erlaesst mir sogar freundlicherweise die Steuer. Den ganzen Sonntag zeigten sich die Leute in den teuersten und neuesten Auto, die der Markt hervorbringt, von allen am stolzesten auf sein Fahrzeug bin aber ich, auf meinem Stahlross zwischen diesen langweiligen Luxus. Wo es mich schon ueberall hintrug! Jeden Morgen begruesse ich es und abends wuensche ich eine gute Nacht. Manchmal wenn es sich mit kleinen Pannen meldet, sage ich, es solle sich nicht so anstellen, wo waere es ohne mich (wahrscheinlich meist im dunklen Keller eingesperrt), und wo waere ich ohne es.

Auch habe ich noch ein kleines Rennen mit einem Anwalt auf seinem Karbonrad und haenge ihm am Berg dann ab, obwohl mein Rad zehnmal schwerer ist, davon so beeindruckt, verabschiedet er sich gleich schnell.

Von der Stadtgrenze bis ins Zentrum, wo ich eine Adresse habe, sind es nochmal sechzig Kilometer, ein bischen schneide ich auch die Schwarzenviertel  und steige lieber nicht ab, bis ich dann bei Freunden meiner Kusine ankomme. Eine Nacht habe ich noch, packe aus und raeume um.

Im Wartesaal werden die Passagiere des Fluges vom schwarzem Aufsichtspersonal zu einer zweiten Durchleuchtung zusammengeschrien, als ob man kein freier Buerger, sondern ein Knasti waere. Dann sitze ich wirklich in einem ziemlich leeren Flugzeug nonstop nach Frankfurt, ich bin nicht unbedingt gluecklich gerade, auf meinem zweiten Zwischenstopp seit Vietnam, versuche mir einzureden, eine Reise verstehe sich ja auch als eine geistige Reise, also mal sehen, wie die alte Welt, meine Verwandten und Wahlverwandten, wie mein Heimatland so auf mich wirkt.

 

Vielen Dank fuers Lesen,

 

Matthias.

 

    

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