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                                                                                                                  Hanoi, Januar 2003

Hallo Ihr Lieben.

Der Vollstaendigkeit wegen werden hier die letzten fuenftausend Kilometer nochmal abgerollt: Hinter Islamabad sagen Paul und ich Lebewohl zueinander. Nie vergesse ich sein Winken an dieser Strassenkreuzung. Wie ein Fluglotse fuchtelt er herum. Zwei Monate fuhren wir zusammen. Der Abschied hier verhaelt sich wieder proportional zur gemeinsam verbrachten Zeit.


Aber schau nun nicht mehr zurueck, schau nach vorn, konzentrier dich auf deinen Weg.' Es kommen fuer mich verkehrsreiche Zeiten entlang der "GT-Road". Von den Briten gebaut, verband 'The Great-Trunk" damals das ganze Kolonialreich. Auf einigen Verkehrsinseln prangern einzementierte Marschflugkoerper. Sie sollen der Bevoelkerung wahrscheinlich Staerke und Kampfbereitschaft vermitteln, aber bei mir hinterlassen solche Bilder eher ein mulmiges Gefuehl. Das Areal der Kirche in Lahore, in dessen Nebengebaeude ich ein riesiges Zimmer im victorianischem Stil bewohne, ist vergittert und bewacht, ab und zu kommt es zu Anschlaegen religioeser Besserwisser. In den Strassen spielt die Jugend Cricket, in den Basaren herrscht schon indisches Treiben. Nach einem Wolkenbruch fahre ich mit Bugwelle durch ueberflutete Strassen, suche den Weg raus aus der Stadt, rueber ins verfeindete Indien. An der nahen Grenze ecke ich noch mit einem Beamten an, bloss nicht seine Authoritaet angraben, aber aufgeblasene Dummheit schmerzt meinem Ego. Nebenan raet mir der freundliche Inder bei einer Tasse Tee, ich solle in Amritsar im "Goldenen Tempel" uebernachten.


Auf dem Weg dahin lasse ich mal wieder meine Eigenkonstruktion der Gepaeckbruecke schweissen, nachdem mir ein Drei-Kaese-Hoch im Ghetto von Peshawar, der Grenzstadt zu Afghanistan in groebster Absicht dagegentritt, genau gegen das Ruecklicht. Ich bin geschockt, ueberlege zu lange, bevor ich ihm hinterherrenne, er ist naemlich nach zwei-dreihundert Metern Verfolgung immer noch um Armeslaenge voraus, bevor er papaschreiend in einen verspiegelten Laden verschwindet. Dahinter fliege ich herein, mindestens drei Haendepaare helfen mir blitzschnell aus meinem Lieblingsshirt, das kleine Monster hat sich in die letzte Ecke verdrueckt und grinst verwirrt. Denn mit Lachen versucht man oft seine Unsicherheit zu ueberdecken. Ich sehe mich um, waehrend ich lauthals meiner Wut luftmache, er, der Vater, solle seinen Nichtsnutz schlagen, seltenen Touristen wie uns aus lauter Bosheit so zuzuspielen und entdecke Haschischplatten, das fiese Zeug, was man sich unter aufgerollte Fussnaegel spritzt, um danach Baeume auszureissen - Schwarzer Afghane - ja, jetzt riech ich`s auch und mir wird mit einmal klar, warum Afghanistan so weitgehend wuestenhaft, so kahl ist. Ich schreie den Verkaeufer und seine Zwischenhaendler an, wie ich jetzt aussehe, wie ein lausiger Penner mit dem zerrissenen Shirt, ich will zumindest ein anderes dafuer haben. Mein Zwischenziel ist erreicht, ich errege Aufmerksamkeit. Im Nu sind bestimmt fuenfzig Menschen zusammengekommen, auch ein Ordnungszuhaelter mit geschultertem Rechthaber. Mittlerweile hat man mich in ein Teehaus geschoben, ich solle mich abregen, aber nein, das macht mir gerade richtig Spass. Neben Getraenk bekomme ich von irgendwo her ein Bluemchenshirt gerreicht, ob ich ein Maedchen waere, habe ich etwa lange Haare, sage ich beleidigt, gebe es zurueck, ich wolle dann lieber Geld haben und sehe durchs Fenster, wie sich einer das Shirt wieder unterzieht. Papa gibt mir nach einigem Hin und Her etwa zweieinhalb Dollar und mit stolz geschwellter Brust (wegen dem herabhaengenden Fetzen) kehre ich zum besorgten Paul zurueck. "Yes, my friend noone fucks with me." Und das gut Shirt hat laengst schon wieder eine neue Naht bekommen.


Jedenfalls bin ich ja auf dem Weg nach Amritsar und freue mich auf dieses Hotel dort. In der Stadt angekommen weisst man mich freundlich durch das Verkehrsgewusel in Richtung,. Dann stehe ich endlich davor und bin schwer beeindruckt vom groessten Heiligtum der Sikh-Glaeubigen, vom "Goldenen Tempel". Langbaertige Maenner laufen herum, deren Haupthaar niemals geschnitten unter einem Turban aufgerollt ist, Eingangswaechter mit Saebel und Lanze weisen mich freundlich in ein Vielbettverschlag, barfuessig und endlich mal stilgerecht kopfbedeckt gehe ich wenig spaeter ueber schneeweisen Mamor durch`s westliche Tor, vor mir liegt ein riesiges Wasserbecken, voll mit japsenden Karpfen, in der Mitte, auf einem Damm zu erreichen, dieser benannte Tempel, aus dem priesterliche Gesaenge toenen. Andaechtig gehe ich im Uhrzeigersinn herum, bleibe immer wieder stehen, dann kaufe ich, wie beobachtet ein Speiseopfer, irgend so einen suessen Brei in ein paar Blaetter gewickelt und begebe mich, Verbeugung und Gestik der Pilger imitierend, zum Tempel, darin zwischen Gold und Weihrauch die heiligen Maenner ihre Zeremonien abhalten. Spaeter laufe ich rueber zur Massenspeisung. Im Saal sitzen sich etwa vierhundert Leute mit gekreuzten Beinen in langen Reihen gegenueber, die Essensausteiler bringen den scharfen Linsenbrei, das Fladenbrot empfaengt man mit beiden Haenden. Draussen wird das Blechgeschirr von vielen Helfern fuer die naechste Speisung gewaschen. Alles erstmal sehr beeindruckend fuer mich, willkommen in Indien!


Am naechsten Abend bin ich im Hindutempel gelandet, vorne wird Ganesh angebetet, Sohn von Shiva und Pravati, der hat ein Tigergesicht mit Ruessel. Alle zusammen wohnen mit Bhudda auf dem Kailash dem heiligen Berg im Westen Tibets, aus der Ecke entspringen auch die heiligen Fluesse Ganges und Brahmaputra. Der Gesang des Priesters schaukelt sich etwa eine Stunde lang hoch, Schellen und Gloeckchen scheppern dazu, bis alles ziemlich abrupt abbricht. Das wiederholt sich noch ein paarmal bis nachts um zwei.


Aber diese spirituelle Atmosphaere des Tempellebens gleicht sich ganz wunderbar durch die Abartigkeit auf der Strasse aus. All das Gedraengel und Gehupe, die Hierarchie des groesseren Mobils, ich schwitze Blut und Wasser. Was mache ich nur hier, im Land der Kasten, rangunterst auf dem Fahrrad? Manchmal fahre ich auch auf schriftliche Empfehlung zu Krankenhaeusern (,aber niemand kann mir helfen...), die Manager empfangen mich sehr herzlich, ich bin natuerlich auch freundlich, aber immer wieder werde ich schwul angemacht. Ist das intellektueller Chic hier in Indien? Homosexualitaet als stiller Protest gegen die uebertriebene Millarde Menschen auf diesem Subkontinent? Ich spinne den Faden weiter und stelle mir vor, es gaebe zwei Generationen lang keine Fortpflanzung und das Problem der Ueberbevoelkerung wuerde sich vielleicht in Luft aufloesen...Aber was geht`s mich an, ich hab ja mein Fahrrad.


Hinter Ludhiana, auf halber Strecke nach Dheli faehrt mal wieder ein Motorroller neben mir. Das ist nichts Ungewoehnliches, denn ich bin wie ueberall Blickfang. Aber dieser Pilot empoert sich ueber irgendwas. Er schreit in seiner Sprache, zeigt auf meine Gitarre, sein Freund auf dem Sozius dagegen bleibt ganz ruhig. Langsam wird es mir zu bunt, ich schreie auf deutsch zurueck, er soll sich verpissen, mich in Ruhe lassen. Aber er laesst sich nicht abbringen, beleidigt mich weiter, ich wiederhole mich. Da zieht er vorbei, stellt sich mir in den Weg. Ich komme gerade noch so zum Stehen, lege das Rad lieber gleich hin, da faengt er auch schon an, loszuboxen und tritt dazu unfair wie unter Weibern. Ich lege noch die Sonnenbrille weg, versuche abzuwehren - innerlich bin ich wie gelaehmt - sage immerzu "why", denke an meinen Auslaenderstatus, keinen Aerger zu provozieren. Laengst haben sich Zuschauer eingefunden, einer tritt dazwischen, versucht zu schlichten, da sehe ich an mir herunter, bemerke erst jetzt vor lauter Notadrenalin, dass ich am Schienbein blute, auch meine rechte Schlaefe juckt und mit einmal juckt auch mein Ego ganz gewaltig - So nicht! Ich mache ihn an: "du bloedes Schwein", "komm ran", und er kommt auch schon und laeuft mit dem Gesicht genau in meine Faust und gleich nochmal, meine gute Linke, mit einer Wut, die sich seit achtzehn Jahren nicht mehr austoben durfte, denn solange ist meine letzte Pruegelei her. Da krampft sich seine Hand in meinen Turban und reisst einen Schlarz hinein. Der gute Turban, mein geliebtes Afrikatuch! Dafuer bekommt er noch zwei Dinger mit, bevor er entgleitet, umfaellt wie ein Brett, vor lauter Ohnmacht. (Um eins schnell klarzustellen, nicht alle Inder sind klein, meiner hier war MINDESTENS einen halben Kopf groesser als ich, aus dieser Ecke hier stammt ja auch Hitlers Wunschrasse der Arier.) Ich befreie meinen Kopfverband, er steht langsam auf, wie im Rausch feuere ich ihn an, aber er hat sich nun in ein Schaf verwandelt, kriegt gar nichts mehr mit, blutet am Hinterkopf - o.k., Schluss, Aus, Ende! Man draengt mich nun, weiterzufahren, die Polizei ist schon gerufen worden. Und weil ich ein richtiger Antiheld sein will, steige ich nach ein paar hundert Metern erstmal ab, heule ein bischen rum, was das alles nun wieder sollte. Hier wird im Kleinen aufgezeigt: Im Krieg gibt es keine Gewinner. Denn den vermeintlichen Sieger muessen nun manche Passanten auch noch troesten, einige entschuldigen sich sogar fuer diese Szene.


Am Abend treffe ich dafuer einen Typen namens Marshall, mit dem ich eine Flasche Whisky tilge, morgens gibt`s noch ein anstaendiges Katerfruehstueck, bevor ich loskomme ist es Mittag. Alleine wegen ihm hat sich die Fahrt hierher gelohnt. Uebrigens war das der erste Fusel fuer mich seit ueber zwei Monaten und das wird auch der Grund fuer des Rollerfahrers Aggressivitaet gewesen sein, er war einfach schlecht angesoffen, Alkohol gibt`s ja erst seit Indien wieder zu kaufen. Den Turban habe ich wieder genaeht und mein blauer Fussnagel wird mich noch lange ueberlegen lassen, was ich nur falsch gemacht habe.


An einem Sonntagmorgen komme ich in der Hauptstadt an. Entlang der Elendsviertel fliesst ein stinkender Fluss vorueber. Die Leute kauern bei ihrer Morgentoilette nebeneinander, zwischen Bergen von Exkrementen. Man findet sich eben ab mit seiner niederen Kaste, vegetiert brav vor sich hin, denn Demut ist der Schluessel zum Glueck. Ganz sicher werden sie dafuer im naechsten Leben besser inkarniert. Ich wohne dafuer im nobleren Neu-Dheli, der Regierungsstadt, bin ja nur wegen dem China-Visum hier, weil es in Nepal schwieriger zu beantragen sein soll. Als ich losfahren will, setzt Dauerregen ein, Nachmonsun, fuer vier Tage.


Dann rolle ich endlich wieder raus aus dem Mob, will schnellstmoeglich rueber nach Nepal, denn Indien per Rad, das ist einfach eine dumme Idee. Man reisst hier viel entspannter mit der Bahn. Muss noch ein paar Tage Strassenstress hinnehmen, hier im Bundesstaat Utthar Pradesh leben allein so viele Menschen, wie in ganz Australien. Abends habe ich dann regelmaessig einen schmierigen Film aus Staub und Abgasen auf der Haut. Auf den Nebenstrassen wird es endlich ruhiger, ich freu mich wieder, auch an den Affen, Eichhoernchen, Reihern, Gruenpapageien, den Eseln, Wasserbueffeln, Schweinen und den Kuehen, den heiligen. Das ist wirklich zu komisch, die stehen oder liegen einfach ueberall rum, voellig unbeeindruckt vom Verkehr, kauen Kaugummi und geben ab und zu ein allwissendes "Muh" von sich. Nur uebermuetige Moslems machen sich manchmal Spaesse und treten ihnen in Heck - "Muh"! Auch die letzte Nacht schickt man mich wieder in einen Tempel. Der Sikh-Priester kuemmert sich persoenlich um mich.
Denke zurueck, an meine Begnungen hier, dieses behinderte Maedchen in Papas Arm, was mich so seltsam beruehrt hat, soviel Freud und Leid in so kurzer Zeit, wie immer bedaure ich fast, nicht laenger geblieben zu sein, ich komme wieder, Indien, versprochen!


Im Koenigreich Nepal hat alles erstmal doerflichen Charakter. Die Idylle taeuscht, weite Teile des Landes unterliegen dem Ausgangsverbot, also ab neunzehn Uhr gibt`s Stubenarrest, keiner darf mehr auf die Strasse, um Rebell oder Maoist zu spielen. Rote Sterne an den Haeuserwaenden kuenden allerorts von der Bedrohung. Wenn ich ihnen erklaeren will, das Ideal vom Kommunismus sei nicht umsetzbar, schauen sie mich mit grossen Augen an, fragen unschuldig warum.
Klar koennen sie nicht zufrieden sein mit der augenblicklichen Situation. Erst letztes Jahr wurde die Koenigsfamilie erschossen, der Bruder zog an die Macht, in den Haushalten wurde das alte Bild des Staatsoberhauptes durch das neue ersetzt. Nun fragt man sich langsam, wie das alles sein kann. Da steht auch schon der Chinese mit seinen Doktrinen parat, nebenan, im besetzten Tibet, wartet nur darauf, auch hier seinen Fuss ins Land zu setzen. In den Touristenzentren, wie Pokhara, wo ich mittlerweile angekommen bin, huetet man sich, diese unruhige Stimmung zu verbreiten, das Land lebt schliesslich vom Tourismus.


Ich lasse mich ueberzeugen, auf den "Coca-Cola"-Trail um das Annapurnagebirge zu gehen. Dabei will ich herausfinden, ob ich hoehenlufttauglich bin. In Gedanken fiebere ich immer mehr dem "Weltdach" Tibets entgegen. Ich bin begeistert, vor allen ueber die Ruhe, es gibt keinen Motorverkehr hier oben, die Gegend ist zu unwegsam dafuer. Habe auch keine Lust auf Gruppenzwang, denn Stille ist so eine Sache, die sich schlecht mitteilen laesst. ("Ey..., toll was,...so still,...ey,...sag doch mal was. Warum bist`n so ruhig?") Man wandert foermlich ins Mittelalter, es ist Erntezeit, dieser Duft, diese Farben. Hier treffe ich das erste Mal auf Tibeter. Bestimmt bin ich voreingenommen, aber sie faszinieren mich in ihrer sanften unaufdringlichen Art, den Gebetsmuehlen ueberall, ihrem "Om mani padme um"-Sprechgesang. Der Pass liegt auf 5416 Metern - jeder der es will, schafft auch sein Ziel - und in dieser fantastischen Landschaft zu wandern, ist sowieso ein Vergnuegen.
Fast neidisch betrachte ich in Muktinath eine Schar Moenchsadepten, eine halbe Stunde spaeter habe ich riesigen Spass mit diesen Kindern, bin wie verzaubert. Und wenn sie zum Schluss noch Kaugummi und Kekse verschenken, laeuft einem fast das Herz ueber. Woran mag das liegen, dieses unbestimmte Gefuehl, diese Waerme, die von ihnen ausgeht? An der Hoehe, der intensiveren Sonne, dem blaueren Himmel, an den Bergen, den klaren Linien der Natur, die den Blick auch unweigerlich nach innen lenkt? Manchmal frage ich mich ernsthaft, was mich nur treibt, immer wieder in unsere eitle Welt zurueckzukehren, warum ich nicht einfach versuche, ein reineres Leben anzufangen. Soviel wird uns genommen an Instinkt, soviel Angst wird uns eingeredet, nur damit sich "die Grosse Maschine" weiterdreht.


Irgendwann bin ich dann in Kathmandu angekommen, treffe auf Weltradler Pepe, der auch die verschrankten Wege Tibets befahren will, er gibt mir den wichtigen Tip, mir unbedingt noch hier ein 90-Tage- Visum fuer "China"zu holen, meine dreissig Tage aus Dheli reichten mit Sicherheit nicht aus. Ich koenne zwar ueberall im rotem Land mein Visum verlaengern, nur eben nicht in Tibet. Gruppenreisende und Kurztouristen sind mittlerweile aus Devisengruenden willkommen, aber keine Individualreisenden, sie koennten womoeglich zu sehr hinter die Kulissen schauen. Ueber die Staatsgrenze gibt es deshalb keinen anderen Weg, als mit einer organisierten Bustour. Pepe hat schon sein Ticket, faehrt voraus, wir wollen uns dann in Lhasa treffen.
Mit der uebernaechsten Reisegruppe begebe ich mich dann auf meine Fuenf-Tage-Reise. Ganz ungewohnt mal wieder unter anderen Travellern zu sein, ich finde Doktor Frank ("...der Arzt, dem die Frauen vertrauen") W., haben eine Menge Spass zusammen. Am zweiten Tag haelt der Bus mal wieder zum Fotoshooting, unser Fuehrer zeigt ganz ungeruehrt auf seine Majestaet, den Mount Everest. Im schoensten Sonnenschein steht er da, der Klotz. 50000 Dollar kostet eine Pauschalreise dahin, dahoch...Deshalb sparen wir in Shygaze auch mit den uebertriebenen Eintrittspreisen fuer Sehenswuerdigkeiten, suchen den Spirit woanders, finden ihn in versteckten Trinkhallen, wo man Bier aus Schnapsglaesern einschenkt, die Mundschenkinnen stehen aber gleich daneben und kippen fleissigst nach, mit einem Grinsen wie: "Los, trink schon!" Oder wir klettern zum schoensten Gebetsbaum Tibets, der in Gyanse steht, was auch wieder viel spannender ist, als ein abgesteckter Rundkurs im Kloster. Ab und zu kommen ein paar Radfahrer entgegen, die sich die Tour rueckwaerts, von Lhasa nach Kathmandu ausgesucht haben. Ja, aus Tibet raus ist`s moeglich, ich weiss, aber andersrum verboten. Irgendsoein Deutscher erzaehlen sie, ist ihnen aber doch entgegengekommen, ein gewisser Andreas...


In Lhasa bestaunen wir dann, mit welcher Ignoranz sich chinesische Plattenkultur zwischen Weltkulturerbe draengt, wie ein Kuckucksei ins fremde Nest. Fuenfzig kommunistische Jahre wollen sich mit sechshundert bhuddistischen messen. 1951 sind die Chinesen hier eingefallen, seine Heiligkeit die 14. Reinkarnation Bhuddas musste ins Exil, in Darmshala im Norden Indiens, bekam er grosszuegig eine Bleibe. Die neuen Herrscher zwangen die Kindeskinder der Erbauer, viele ihrer Kloester und somit die eigene Geschichte zu zerstoeren. Die chinesische Kultur brachte den Tibetern Trinkhallen, Karaokebars, deren Hinterzimmer oftmals stundenweise vermietet werden - Alkohol und Prostitution. So wird mit System ihre alte Kultur unterminiert. Das staatliche Fernsehen weist nur Erfolgsmeldungen auf, entweder man schluckt den ganzen Hohn, oder man bekommt das Kotzen. In allen finde ich Uebereinstimmungen, ja Wiederholungen zu den aussterbenden Altkulturen der Maya und Inka. Nicht nur ihre Schicksalsergebenheit, ihre Sanftmut erinnern mich an Lateinamerika, auch das Aussehen, die braune Haut, dichte schwarze Haare, die Farben ihrer Trachten. Seitdem glaube ich an die Voelkerwanderung gen Osten, vor mehr als zehntausend Jahren, als naemlich noch eine Landbruecke Sibirien mit Alaska verband, oder sie wurden halt ruebergeflogen, damals, oder gebeamt. Wir besuchen den Potalapalast, tonnenweise Gold und Edelsteine sind hier verarbeitet, ueberall stecken Geldscheine, alles verkuendet hier die enge Verbundenheit zum Dalei-Lama. Im Jokham-Kloster knistert es vor Mystik. Hunderte von Pilgern umlaufen im trueben Licht der Butterlampen, die Bhuddastatuen, drehen ihre Runden um die Gebetsmuehlen. "Lasst den Leuten doch ihren Glauben!" Am Tage sieht man die vergnuegten Moenche Billard spielen, sich voellig ungezwungen in der Oeffentlichkeit bewegen. Echt coole Leute! Sie vermitteln ein viel freundlicheren Eindruck von ihrem Glauben - mit Speck faengt man Maeuse, nicht mit irgendwelchen Hoellenvorstellungen.


Frank fliegt zurueck, um sein Praktikum in Kathmandu anzutreten, Pepe ist mit zwei anderen auf Ausflug, ich solle unbedingt warten. Aber es wird jeden Tag etwas kaelter, ich besorge mir hier noch in einer weisen Eingebung ein Fleece-Inlet fuer meinen Sommerschlafsack, Wollmuetze, dicke Socken und Baumwollhandschuhe zum unterziehen, stelle mich auf Warten ein.


Da treffe ich ihn endlich, Andreas, den Helden, von dem ich schon Sagen hoerte. Er sitzt startklar im Netzcafe, um sich nochmal ins Ungewisse zu verabschieden. Wir haben den gleichen Weg vor uns und sind uns bald einig, gemeinsam durchzustarten. Waehrend fuer mich keine alternative Route besteht - in Burma ist`s immer noch unmoeglich, auf dem Landweg einzureissen - sucht er sich fuer seine dreimonatige Reise gerade die bergigste aller Strecken aus: Einmal ueber den Himalaya. (Ich erlaube mir dazu, hier unaufgefordert seine Webseite anzupreisen: hahnimnetz.de/himalaya Dann geht`s los. Das Wetter ist mit uns. Wir haben meist klaren Himmel, so sonnig wie der Tag, so schattig sind aber auch die Naechte. Ich bin erschrocken ueber vierzig Grad Temperaturunterschied, meine Klamotten sind unzureichend, bald ziehe ich aus meinem Sommersarg in sein Winterzelt ein. Die ersten zwei Wochen gibt es fruehs wie abends Instantnudeln, wir koennen nichts Besseres auftreiben. Ein Muss, wie eine Wonne ist auch das Lagerfeuer am Abend wie am Morgen, denn ehe die Sonne die Schatten aus den tiefen Taelern verscheucht, vergeht der halbe Vormittag. Dazu fallen wir auch immer etwa zehn Stunden in Morpheus` Arme, halten Winterschlaf. Diese Wochen fordern uns physisch wie psychisch. Wir ecken oft wegen Nichtigkeiten aneinander an. - Schuldfrage weiterhin ungeklaert - Man ziert sich vielleicht auch, seine Freundschaft so einfach zu verschenken, wehrt sich gegen ein vorschnelles Bild. Was sagt der Fuchs zum kleinen Prinz: "Du darfst dich jeden Tag ein Stueck naeher zu mir setzen." Gut Ding will Weile haben! Die ersten paarhundert Kilometer sind noch asphaltiert, Pilger kommen uns nach Lhasa rutschend entgegen, wieder bin ich fasziniert, wie konkret sie schon fuer ihr Heil im naechsten Leben arbeiten. Kurz darauf fahre ich ueber den ersten Pass fuer mich, waehrend Andreas ja schon meine gesamte Busreise unter die Reifen genommen hat.


Dann treffen wir auf Kato und Lorenzo, die seit fuenf Jahren auf Radreise sind. Sie haben die Tour hinter sich, geben uns Aufzeichnungen ueber den Streckenverlauf. Was das fuer ein Geschenk ist, wird uns immer mehr bewusst, denn hier hoeren die Informationen auf, meine Karte, Marke "World Cart" vom RV-Verlag luegt das Blaue vom Himmel herunter und das schon seit Nepal. Genauso haetten sie einen weissen Fleck ueber dem Grossraum Tibet lassen koennen. Auch der "Lonely-Planet"-Reisefuehrer laesst immer weniger verlauten, sie waren einfach noch nicht da, wo wir uns gerade befinden, im Nirgendwo, zwischen Himmel und Erde, auf restriktivem Gebiet. Wir muessen daher die Kontrolorte in Nachtaktionen durchfahren, auch sonst schrecken wir jedesmal zusammen, wenn ein Polizeiwagen an uns vorbeifaehrt. Ein Gefuehl aus vergangenen Tagen kommt hoch, sich wieder nur unfrei, eingeschraenkt bewegen zu koennen, frohe Miene zu falschem Spiel zu machen. Der Asphalt hat laengst aufgehoert, wir fahren an zehntausend Strassenbauarbeitern vorueber, "Ni hau",rufen sie unausgelastet "ja, schon gut, hallo", antworten wir muede. Alles geschieht in Handarbeit, selbst die Steine fuer`s Kiesbett werden mit dem Hammer zerklopft.

Mein geliebtes Rad wird erschuettert von den uebelsten Pisten, auf die ich es je schickte, Geroell, breite Baeche, Schlamm, Spurrillen, Wellblech und Staub wechselt staendig miteinander ab. Die Infoblaetter meinen dort: "Almost unrideable" Insgesamt geht es vierzehn mal ueber Paesse zwischen 4200 und 5000 Metern, dabei aber auch wieder runter bis auf 1700. Wir ueberqueren den Brahmaputra, den Yangtse und den Mekong. Einmal steigt der Weg zweihundert Kilometer an, am Fuenftausender macht uns Schneetreiben zu schaffen, oben gibt es immer eitle Freude, und einen Schluck aus dem Flachmann. Bergrunter schwindet manchmal das Gefuehl aus Haenden und Fuessen.
Aber innerlich waechst in dieser Zeit eine Flamme in uns heran. Kann man sich das vorstellen? Man hat um soviel an Staerke zugenommen, dass der Geist nunmehr den Koerper befiehlt, der Wille ueber den Zweifel erhaben ist. Die langen Steigungen sind nur noch eine Herausforderung, es gibt sowieso nur diesen Weg und fuer einen Moment erscheint die Reise wieder plastisch gleich einem Blick auf unser Leben.


Zum Waschen kommen, besser gehen wir drei Wochen nicht. Nicht, dass wir keine Zeit haben, das Wasser ist einfach zu kalt, so haelt es auch der Rest der Bergbewohner. Die Chinesen bauen dort in den abgelegenen Gebieten sogar Haeuser ohne sanitaere Einrichtungen, die Zwei-Liter-Thermoskanne mit Waschschuessel ersetzt das Bad, die Toilette befindet sich auf der Rueckseite der Haeuserfront, wo sich ein Haufen neben den naechsten aufbaut, oder eben auch direkt neben der Strasse, in Toreinfahrten zum Beispiel. Dazu Andreas:"Wo ich steh und geh, find ich ein WC!" Wenn man sich beim Geschaeft auch noch mit Einheimischen gegenueberhockt, schwindet endlich auch die letzte Scham dahin.
In den praechtigen tibetischen Haeusern dagegen gibt es zumindest ein Plumsklo, hinter der hohen Mauer doest ueber Nacht das Vieh im Erdgeschoss vor sich hin, darueber befindet sich die grosse Wohn-und Schlafstube um dessen Ofen sich abends die ganze Familie bis ins dritte Glied versammelt. Waehrend der Reis oder die Nudeln und das Yakfleisch kocht, wird Buttertee gereicht, im Daemmerlicht erzaehlt man sich den vergangenen Tag vor, Romantik pur! Morgens steht die Hausherrin kurz auf, heizt ein und legt sich zu den anderen zurueck, zwei Stunden spaeter gibt es wieder Buttertee mit Tsampa, dem Gerstenmehl, das schmeckt zwar nicht, aber ist nahrhaft. Gastfreundschaft ist bei ihnen so voellig selbstverstaendlich, wie umwerfend fuer uns.


Die Chinesen dort oben begegnen uns arrogant, je dicker sie sind, je breiter ihr Gelaendewagen ist. Hier findet sich wieder die Farce von der Gleichstellung im Kommunismus. Die Leute sind ein Aushaengeschild fuer perfekte Gehirnwaesche durch Erziehung und Medien, so stolz sind sie auf ihr Land, das sie ja gar nicht begreifen koennen, aus Mangel an Horizont. Andreas hat haufen Aerger, sein laengst abgelaufenes 30-Tage-Visum zu verlaengern, etwa zehn Tage reist er mit Alienstatus herum. Bei einer dieser naechtlichen Ortsdurchfahrten jage ich mit dreissig Sachen durch eine breite Querrille im Asphalt, es gibt einen Monsterschlag und meine Gabel hat nach 33000 Kilometern hier bei den Roten irgendwie ausgehaucht, das Rad schlingert seitdem mit zunehmender Geschwindigkeit. ,Darum, wegen all dieser unnoetigen Widrigkeiten und ihrer Expansionspolitik nennen wir sie schon lange "dreckige Chinesen".


Einmal geschieht aber auch ein kleines Wunder, als wir naemlich beim Einkauf in einer Kleinstadt der Polizei wegen der Ansammlung von Schaulustigen auffallen und ihnen auf die Wache folgen muessen. Dort fragen sie in Englisch nach unserer Erlaubnis fuer die Zone hier, wir sprechen aber nur deutsch. Nein, so kommt hier keiner weiter, weder sie mit ihren Vorschriften, noch wir aus dem Ort. Da zeigt Genosse Beamtin einem Kollegen die vielen Stempel in meinem Pass und ich packe gedanklich ihren Rockzipfel, fange an, meine Reisen auf der Weltkarte an der Wand zu beschreiben, krame Bilder und Zeitungsartikel raus, mein Kamrad beschreibt mit dem Finger Alaska und Island, holt seine Bilder dazu hervor. Da geht es wie ein Ruck durch die Staatsdiener, was sie hier nur von den zwei Ueberfliegern wollen und lassen uns einfach weiterfahren, wir koennen gehen, einfach so - verrueckt!


Hinter der letzten Schranke Tibets hat eine Steinlawine die Strasse zugeschuettet und einen LKW dabei begraben. Da muessen wir nun die Raeder rueberbugsieren. Es loesen sich aber immer noch vereinzelt Brocken, die unten dann schon toetliche Geschwindigkeit haben, Gott-sei-Dank erschlaegt uns keiner.
Auf der anderen Seite haben sich dreckige chinesische Lastwagenfahrer versammelt, stehen bescheuert rum und begaffen uns nur in unserer Lebensgefahr. Hat man da noch Toene? Niemand, der uns zu Hilfe eilt, menschlicher Muell! Was sind das fuer Menschen? Und sowas erhebt Anspruch, als Weltmacht zu gelten? Soll jetzt keiner, der sich an meinen scharfen Worten stoesst, versuchen, irgendwie auf Verstaendnis rumzuhaemmern, Naechstenliebe ist hoechstes Gebot, unterlassene Hilfeleistung dagegen gilt als Delikt.
Man kommt eben leider nicht daran vorbei, das zerplatzende Traumland auf dem Dach der Welt, unter diesen augenscheinlichen Aspekten zu betrachten. Die guten Erinnerungen ueberwiegen aber wie immer, die herbe Schoenheit der weissen Riesen, die tief eingeschnittenen Taeler, das einfache Leben, die Stille mancherorts, die Gebetsfahnen, die uns oben am Pass immer zugewunken haben, die Lagerfeuer, auch ein paar Chinesen und das Laecheln von euch Tibetern. "Free Tibet" ,ich schrei es heraus!


Jetzt, da wir aus Tibet raus sind, nimmt bei mir die Idee Gestalt an, meinem Vater zum Sechzigsten durch ploetzliches Auftauchen zu erschrecken, habe mal wieder lange die Pro`s und Kontra`s gewaelzt, vom Wiedersehen bis zum Abschied. Im Sueden Chinas, in Dali nehmen wir den Nachtzug nach Kunming, denn auch Andreas` Zeit hier wird knapp, besorgen uns dort die Visa, er fuer Laos, ich fuer Vietnam. Am Abend schon sagen wir in aller Freundschaft "Auf Wiedersehen in Deutschland". Mein Bus faehrt durch die Nacht zur Grenze, vier Tage spaeter rolle ich in Hanoi ein, hole das Flugticket ab, stelle das Rad ins Schlafzimmer des Hotelmanagers, um es fuenf Wochen spaeter wieder abzuholen.
Seit unglaublichen zwoelf Tagen klebe ich jetzt schon wieder in Hanoi. Habe mein Ross verarztet, behuft und gestriegelt und musste diese Sache hier noch ausfuehren, bevor ich morgen endlich weiterjage, sonst komme ich noch voellig ins Schleudern und Vergessen. Klar war es schoen, Familie und Freunde zu sehen, und die ich nicht besucht habe, sollen es mir nicht krummnehmen, war ja nur ein Zwischenstop. Dieses daemliche Abschiedsgetoese hasse ich mittlerweile, dabei wuerde ich mich viel lieber laecherlich machen, als ungewollt Tragik zu verbreiten, da ich an die sowieso nicht glaube. Eigentlich ist diese Radelei eine fantastische Sache und was man nunmal begonnen hat, soll man auch zu Ende bringen. Ueberlege wieder, was alles passiert ist, wo soll ich schon ueberall gewesen sein? Wo war ich gerade noch? - Alles nur ein Traum, was soll man daran ernst nehmen! Gerade noch Schein und dann schon wieder Traum, alles nur eine geistige Dehnuebung!
Bis spaeter, Euer Matthias.

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