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                                                                                                 Panama-Stadt, April 2005      

Lieber Leser!                                                                                          

 

Mit dem heutigen Tag faengt mein Abschied aus Bolivien an und mir ist gar nicht nach Unterhaltung. Ich kurble aus dem Tal der Stadt, oben auf der Hochebene an der Weggabelung angekommen, blaest mir der Wind den Rest des Tages entgegen, treibt Staub und Sand vor sich her, neckt mich und prueft meinen Willen, dabei habe ich mich doch vor langer Zeit schon fuer diese Reise entschieden.

Die Leute der wenigen Doerfer auf der Strecke sind mir passend dazu, heute auch nicht gut gesonnen, blicken mich abweisend an. In einem Ort fliegt ein Brocken von Stein ueber eine Mauer hinter der ich ich seit geraumer Zeit im Windschatten raste. Die Schuljungen aus der Wurfrichtung, grinsen alle nur und verkruemeln sich auf mein Gefluche.

Abends in der Herberge muss ich mit dem Hotelchef noch laenger ueber den Preis verhandeln, da er sich naemlich noch Bier davon kaufen wollte, wie er mir frech erklaerte.

Der neue Tag erschoepft mich mit langen uneinsichtigen Anstiegen bis ueber 4000 Meter, gegen abend muss ich immer oefter pausieren, damit sich mein Puls wieder beruhigt, kaue ohne Appetit irgendwas, nur damit ich es ueber den naechsten Huegel schaffe, bis ich dann in Copacobana am Ufer des Titikakasees angelange.

 

Dieses kleine Meer begrenzt ein Flaeche von 8300 Quadratkiometern, schillert in der Hochlandsonne 272 Meter blau in seine Tiefe. Nach Osten hin ragen  die weissen Kuppen der Koenigskordilleren in den Himmel.

Eine Fahrt zur Sonneninsel steht auf dem Programm, der Wiege der Inkakultur. Wenn man der Legende glaubt, sandte dort Schoepfergott Viracocha das Geschwisterpaar Manco Capac und Mama Ocllo zur Erde, diese sich dann anschickten einen geeigeneten Ort zur Gruendung des Sonnereiches zu suchen. Durch eine undurchsichtige Vielzahl an Kriterien von Zeit und Raum fanden sie schliesslich den “Nabel der Welt”, denn das bedeutet der Name der Stadt Cusco. Dort bohrte Manco Capac seine goldene Lanze in den Boden. Einer anderen Geschichte nach, soll sich ja hier auch noch das Grab von Pippi Langstrumpfs Mutter befinden.

 

Das Boot kaempft mit der windgepeitschten See, schaukelt sich durch die Wellenberge. Einer Touristin wird so schlecht vor Angst, dass sie paralysiert, kein Wort mehr rausbekommt, ihr Gliedmassen nicht mehr bewegen kann. Nach zwei Stunden landen wir endlich an der Nordseite, ein Pfad fuehrt von dort zu einem Inkabrunnen, der Jugend und Weisheit verspricht, dem aber das Wasser vor Kurzem ausging,  weiter zum heiligen Stein, dem Ort der geschwisterlichen Niederkunft. Dort band man frueher Jungfrauen fest und opferte sie fuer Inti, spaeter kam das Einsehen und man entschied sich fuer Lamas.

Neben einer Tempelanlage und einer rundfoermigen Steingruppe, wo sich die Haeupter frueher beratschlagten, gibt es weiter abseits noch den heiligen Felsen, mit einer Pumaabbildung. Mystische Vereine aus aller Welt besuchten schon diesen Ort, da man ihm Energie nachsagt. Auch wir sollten uns was wuenschen, fordert uns der Fuehrer auf, und etwas zaghaft naehert man sich der Wand, legt die Haende darauf und konzentriert sich fuer ein paar  Minuten auf seine Wichtigkeiten.

Meine kleine Gruppe ist auf der Wanderung ueber die Insel so ins Gespraech vertieft, dass wir an der falschen Uferseite absteigen, wo keines unserer Boote wartet. Wir ueberreden einen Fischer uns zur Anlegestelle zu bringen, aber dort sind sie schon abgefahren, er funkt mit dem Taschenspiegel uebers Wasser und schliesslich dreht ein Boot dann bei. Der See hat sich mittlerweile beruhigt, bald setzen wir ins andere Boot ueber, unser lieber alter Mann rauft sich die Haare ueber ein paar neue Kerben die das beigedrehte Boot in seiner Bordwand hinterlaesst. Vorher habe ich mir noch die Windjacke an einem zersplitterten Brett seiner Kajuete zerrissen, bei dem diletantischen Versuch, das Boot aus dem Schilf herauszustaken, darauf es sich bloss im Kreis drehte. 

 

An der Grenze angekommen, weisen mich die Beamten darauf hin, ich sei schon zwei Tage ueber dem Visum, sie erklaeren mir Erstaunten ich haette die einundreissigsten Tage der Monate ignoriert. Zwei deutsche Touristen bekommen das mit und finden nun, sie haetten was zu lachen unter ihren maechtigen Cowboyhueten, weswegen sie sich erst noch einen Spruch anhoeren muessen. Aber alles weiter nicht so schlimm, ich zahle zwei Tagessaetze und bin alsbald in Peru.  

 

Auf  vierzig aus Schilfmatten gebauten  Inseln entlang der Westseite des Sees schwimmt hier der Stamm der Uros. Selbst die Inka konnten dieses Voelkchen damals nicht unterwerfen. Heute haben sie sich dagegen den Marktgesetzen untergeordnet und sich leidlich auf den Strom der Touristen eingestellt, denen sie dann Souvenirs verkaufen. Ihre typischen Binsenboote sieht man am ganzen See herumschaukeln. Der Abenteurer und Forscher Thor Heyderdahl holte sich den Meister dieser Bootsbauer, Paulino Esteban mit Helfern von dort, konstruierte mit ihnen ein Boot, wie er es aus aegyptischen und phoenizischen Wandmalereinen ableitete und beim zweiten Anlauf im Jahre 1970 gelang es ihm dann auch, mit der “Ra 2” den Atlantik von Marokkos Kueste aus zu den Antillen zu ueberqueren, um damit seine Theorie ueber die Moeglichkeit eines Kulturaustausches oder einer Besiedlung von der “alten Welt” aus, zu verfestigen.

 

Weiter fahre ich auf der Hochebene, hinter den Staedten Puna und Juliana komme ich nur noch durch kleine verschlafene Siedlungen, karge Bergzuege bestimmen das Bild, das Vieh auf den Feldern kaut sich durch die duerre Vegetation, der Wind blaest kalt, immer eher ziehen sich jeden Tag die Wolken zusammen, die Gegend sieht ziemlich deprimierend aus, wenn’s so truebe ist. Eine lange Steigung zieht sich hoch zum Pass auf 4335 Metern, im Dunkeln rolle ich auf der anderen Seite zu einem heissen Thermalbad herunter und aale mich bald nach der Kaelte draussen im heissem Wasser.

 

Vor Cusco haeufen sich dann schon die Sehenswuerdigkeiten, da gibt es alte spanische Kirchen, halb ausgegrabene Inkaruinen, ich  betrachte vom Aussichtsfelsen eine Tempelanlage fuer Viracocha. In den Orten verkaufen die Frauen an Fruehstuecksstaenden heisse staerkende Quinuagetraenke die braucht man auch in diesem rauhen Hochlandklima, wo alle Taetigkeit etwas mehr Kraft kostet.

 

Im Schmuddelwetter empfaengt mich dann die Stadt, der seit Tagen anhaltende Regen liess einen Bach entlang der Strasse zum Fluss ansteigen, der einen endlosen Strom aus Plasteabfaellen herunterspuelt. ‘Cusco - Weltkulturerbe?’, gerade werde ich eher an Elendsviertel indischer Grosstaedte erinnert. 

Auf den steilen gepflasterten Inkagassen im Altstadtkern bilde ich den Kopf der Schlange, bis ich dann endlich noch ein billigeres Hotel in dieser touristischen Goldgrube finde.

 

Die Muenzen muss man in einigen Landesecken sprichwoertlich zweimal umdrehen, denn es sind Unmengen von Falschpraegungen im Umlauf. Es dauerte ein ganze Weile, bis ich sie endlich unterscheiden konnte, jeder Haendler probiert sie ja wieder loszuwerden, am besten an die Touris oder nachts an  Besoffene. Manchmal bekommt man  mehrere falsche Muenzen auf einmal als Wechselgeld zurueck und es nervt dann, wenn man beim gleichen Haendler Stueck fuer Stueck wieder gegen Richtige eintauscht, waehrend beide Seiten die Muenzen nun penibel genau untersuchen. Zweimal verlor ich die Geduld und feuerte welche in die naechste Ecke, dass sie mich fassungslos anschauten, wie, als ob das “gute” Falschgeld doch noch zu was nuetzen wuerde. Deshalb verschenke ich sie dann spaeter  auf Wunsch an andere, bevor ich sie bis zur naechsten Geldwaschgelegenheit noch weiter mit mir rumschleppe.

 

Kommt man nach Cusco holt man sich am besten ein Touristenticket, um zum Vorzugspreis die wichtigsten Museen und Ruinenstaedte besichtigen zu koennen.

Ich besuche ein ehemaliges Nonnenkloster mit Gemaelden aus dem spaeten Mittelalter bis in die Romantik. Hauptstueck ist eine Art Klappaltar mit Szenen aus der Christusgeschichte ausgefuellt, der geschlossen buendig und ohne sich mit einer anderen Figur zu beruehren passt, eine filigrane Meisterleistung der Nonnen, die lange Jahre in Anspruch nahm. Mit inbegriffen ist auch eine allabendliche Auffuehrung traditioneller Taenze, trotz anderslautender Meinung einiger Touristen ueber den eingespielten Ablauf konnte ich mich nicht sattsehen an der Grazie der fuenf Paare und ihrer Freude, die das Tanzen hervorruft.

 

Die Inka bewiesen ihren Anspruch als Hochkultur in allen nur denkbaren Dingen. Man hinterliess der Nachwelt Bauten, die scheinbar fuer die Ewigkeit gedacht waren. Im Stadtkern gibt es meterhohe Mauern aus zyklopischen Steinen, die ineinander verwinkelt fugenlos buendig selbst das grosse Erdbeben von 1650 unbeschadet ueberstanden, waehrend die von den Spaniern daraufgebauten Haueser allesamt ineinander fielen, bis heute benutzt man ihre Fundamente weiter. Solche Bloecke wurden von den Eroberern auch fuer den Aufbau ihrer Kathedralen benutzt, die man immer ueber ihre alten Tempel setzte, eine zermuerbende Taktik, die man bis nach Mexiko verfolgen kann. Jeder groessere Ort in Suedamerika besitzt einen zentralen Platz, eingebuergert hat sich oft der Name “Plaza de las Armas”, was soviel wie “Platz der Waffen” bedeutet. Auch dies ist eines der vielen Ueberbleibsel, des kriegerischen Einflusses der Spanier. Zu Inkazeiten hiess dieser hier in Cusco “Platz der Freude”.

Man verfuegte ueber ein 40000 Kilometer langes Strassennetz, welches das Reich in seiner groessten Ausdehnung vom heutigen Equador bis nach Chile und Argentinien verband. Stafettenlaeufer leiteten wichtige Nachrichten bis zu 400 Kilometer pro Tag weiter. Auch eine gemeinsame Sprache, das Quechua, wurde von Pachacuti, einem der groessten Sonnenkoenige eingefuehrt, um die Bevoelkerung zu vereinen. Es existierte eine Knotenschrift, die sich in Ziffern ausdrueckte, viele technische Erungenschaften wurden von den eroberten  Voelkern uebernommen, man holte sich die besten Handwerker nach Cusco, wo sie ihre Kuenste weiterausfuehren konnten, ein geschickter Schachzug, der ihnen Anerkennung bei den unterworfenen Staemmen einbrachte und somit fuer Frieden sorgte. Man fuehrte Statistiken, die das Verhaeltnis zwischen Produktion und Konsumtion abwogen, baute Speicher aus Ernteueberschuessen fetter Jahre fuer Zeiten der Duerre. Der Gottkoenig, der Sapa Inka versammelte um sich eine religioese und geistige Elite, die nicht etwa aus Verwandtschaft bestand, sondern fuer Talente offen war. Das Individuum allein zaehlte nicht, sondern die Familie, jede Gruppe war mit ihrem Fuehrer der naechstgroesseren Gruppe verantwortet. Doch der Verlust an persoenlicher Freiheit war und ist der hohe Preis, den die Massen fuer wirtschaftliche Sicherheit zahlen.

 

In einem anderen Museum treffe ich einen Karikaturisten, der mich im einheimischen Viertel ueber zwei Hoefe in eine “Picanteria” fuehrt, einem einfachen Gasthaus. Dort sitzen wir mit Hinz und Kunz auf langen Baenken, bestellen das Einheitsgericht und trinken dazu Chicha aus grossen Toepfen. Bald unterhalten wir uns ueber den ganzen Tisch, solche Augenblicke sind mir immer alle Reisestrapazen wert.

 

Oberhalb der Stadt liegt die Ruinenstaette Sacsqayhuaman. Weitraeumig angelegt galt sie als zeremoniale Versammlungsstaette, links auf den Haengen beobachtete das einfache Volk den prunkvollen Aufzug der Soldaten, der Priester und ihrer Eingeweihten. Als ich dann weiterfahren will, bemerke ich ungewoehnlich viel Spiel an meinem Freilauf und rolle lieber noch mal runter in die Stadt, wo man mir einen geschlossenen Radladen zeigt, denn es ist Sonntag. Schraeg gegenueber finde ich billig Unterkunft in einem Hostal, was ausschliesslich von Israelis beherbergt wird. Der weniger betuchte Wanderer kann auf solche Einrichtungen immer getrost zurueckgreifen, ohne noch weiter herumsuchen zu muessen, da die Gaeste dort ganz sicher die billigste Bleibe ausgemacht haben oder im Zweifelsfall den geforderten Gruppenrabatt durchsetzten. Viele Herbergen haben auch einige Informationen in hebraeisch an ihren Anschlaegen, es gibt sogar Reisefuehrer von “Lonely Planet” in der Sprache, speziell fuer diesen verhaeltnismaessig kleinen Anfragemarkt verfasst, wiederum mit einigen Extrabemerkungen, denn wenn es moeglich ist, will man lieber unter sich bleiben. Es sind durchweg junge Leute, meist tauchen sie in Gruppen auf, bringen auf ihrem Urlaub von sechs Monaten ihre Ausscheidegeld der Armeezeit durch. Man bemerkt sie einfach, hoert die meisten von ihnen in allen billigen Reiselaendern der Erde, ausgenommen der islamischen Welt. Die Jungen muessen allesamt drei Jahre zum Waffendienst, die Maedchen zwei, darueber kann man sich nur hinwegsetzen, wenn man sich zum Rabbiner-Werdegang verpflichtet. Mit solchem Hintergrund sollte der Aussenstehende gebuehrende Nachsicht ueben an manch auffaelligem Verhalten, nach dieser langen Zeit aus Befehl und Gehorsam wurden sie, sagen wir temporaer, sicherlich Opfer einer hoeheren Manipulation. Trotzdem konnte ich aber unterwegs mit den wenigen Einzelreisenden eine annehmbare Konversation im aussichtslos festem Rahmen seichter Gespraeche vollfuehren.

 

Der junge Schrauber von Radladen hat bald mein Vertrauen gewonnen, nach etwa drei Stunden Fummelei und wiederholtem Ein-und Ausbau von hauchduennen Unterlegscheiben, bin ich wieder zufrieden. Ich arbeite mich die Hoehenzuege hinauf, besuche weitere Inkaanlagen und endlich habe ich eine lange entspannende Abfahrt ins “Heilige Tal”, ins Urubambatal, nach dem gleichnamigen Fluss. Das Klima hier auf 2100 Metern ist gleich viel lauer und angenehmer als das der letzten Wochen im Hochland zwischen 3000 und 4000 Metern. Da wachsen dann auch wieder allerlei Fruechte und Gemuese, selbst das Vieh sieht zufriedener aus. Die Bauern koennen zwei bis drei Ernten pro Jahr einholen, weshalb es fuer die Inka als die Kornkammer der Hauptstadtregion galt.

 

Spaeter schlage ich dann mein Zelt auf einem alten Friedhof auf, weil ich keinen ruhigeren Platz finde, am naechsten Morgen fragen mich dann ein paar grinsende Bauern, ob ich denn eine friedliche Nacht gehabt haette, was allerdings der Fall war. Bedingt durch das einfache Leben und verwurzelte Glaubensvorstellungen, verfuegen die Leute hier ueber eine bluehende Phantasie die gerufene Geister materialisieren laesst. Die Hausdaecher im Tal ziert ein stilisiertes Kuhpaar als Symbol der Fruchtbarkeit, oft genug steht dann dahinter noch das Kreuz der Spanier – doppelt haelt besser! Bei ihnen ist es Brauch, beim Hausneubau, den Schaedel des verstorbenen Familienoberhauptes wieder auszugraben um ihn ueber dem Tuerbalken einzumauern, dass er das Haus vor boesen Einfluessen schuetzen moege. Durch den Ort Ollantaytambo muss ich wieder uebers alte Inka-Kopfsteinpflaster schieben, manche Indios leben hier immer noch in den alten Adobehaeusern ihrer Vorfahren, diesen billigen und bewaehrten Baustoff sieht man im ganzen Land als geformte Backsteine aus Lehm und Stroh gemischt in der Sonne trocknen.

 

Eine holperige Piste fuehrt mich noch bis zu einer Siedlung, wo ich beim netten Bahnwaerter Raul schlafen kann. Im Finstern der fensterlosen Kammer tauschen wir uns dann Geistergeschichten aus. So trat sein Onkel in einer mondbeschienenen Nacht einmal einen laengeren Marsch von seiner Berghuette hinab ins Tal zum Haus seiner Familie an. Es mochte etwa nach zwei Stunden gegen drei Uhr fruehs gewesen sein, als ihm ein Maedchen mit Hund begegnete. Diese verstellte ihm den Weg, sprang kichernd mal zur einen dann zur anderen Seite. Er empoerte sich und kam schliesslich an ihr vorbei. Als er sich kurz darauf nochmal nach ihr umdrehte, war sie so urploetzlich verschwunden, wie sie vorher auftauchte. In seiner nie gekannten Furcht gelange er schliesslich noch bis nach Hause und musste sich alsbald uebergeben. Man bettete den Verwirrten, der nur noch unverstaendlich stammeln konnte. Haende fuchtelnd und von Fiebertraeumen geplagt, fand er zwei Jahre keine Ruhe mehr, man musste ihn fuettern, er war fuer nichts mehr zu gebrauchen, bis es ihm nach diesen Ewigkeiten langsam wieder besser wurde.

Die Gestalt des Teufels bezeichnet man hier vertraulich “tio”, also Onkel - man nennt die Daemonen nicht beim Namen, denn so wuerde man sie ja anrufen - der zeigt sich dem armen Wanderer bergab bewegend mit gesenktem Kopf, dabei etwas ueber dem Boden schwebend.

 

Der Weg hoert hier auf, neben dem teuer zu betretenden Inkapfad, bleibt nur noch der Schienenweg nach Machu Picchu. Die Rechte an der Bahn und der Ruinenstadt verkaufte der ehemalige Praesident Fujimori fuer dreissig Jahre an Chile. Mit zweitausend Touristen die sich taeglich hier einfinden, haben die Chilenen zweifelsohne ein lukratives Geschaeft mit diesem Haendel gemacht, waehrend man sich in Peru gruen und blau aergert.

Das Rad lasse ich bei Raul zurueck und laufe anfangs etwa zwoelf Kilometer auf einem wenig bekannten Inkapfad am rechten Ufer vorbei an ein paar Ruinenstaetten, bis der Weg aufhoert und ich die verbleibenden zwanzig Kilometern auf den Schienen antrete. Es ist beschwerlich so ueber das Schienebett zu stolpern, bald besorge ich mir ein paar Stoecke und laufe im Fuchstritt auf auf dem Gleis.

Von Aguas Calientes starte ich im Morgengrauen auf dem Zickzackweg hinauf zur vergessenen Stadt.  Der fruehe Aufbruch wird empfohlen, um etwas von der erhabenen Atmosphaere einzuatmen, bevor die Besuchermassen einfallen.

 

Ueber vierhundert Jahre lag dieser Ort vom Dschungel begraben, bis ihn der Amerikaner Hiram Bingham 1911 “durch Zufall”  entdeckte. Was trieb den Mann in diese wilde unwegsame Gegend? Ich vermute eher, der Zufall kam in Gestalt einiger freundlicher Indios entgegen, die ihn da hinauffuehrten, denen der Ergeiz der Zivilisation fremd war, die Dingen wie Ruhm und oeffentlicher Erfolg voellig gleichgueltig gegenueberstanden. Wie auch immer, die Geschichte dazu ist aufgeschrieben, die Alten, die es besser wuessten, sind laengst gestorben.

Herrscher Pachacuti liess diese Siedlung um 1450 bauen, neben den Wohnstaetten, die siebenhundert Menschen beherbergen konnten, errichtete man Terassenfelder fuer den Anbau von Mais, Gerste, Bohnen und Suesskartoffeln, was auf diesem schwarzen Loessboden in 2700 Metern Hoehe ausserordentlich gut gedeihen musste. Vom Steinbruch dort loesste man die Bloecke zum Bau der Haeuser und Tempel, letztere immer besonders fein gearbeitet sind. Neben Sonnen- und Mondtempel findet man hier noch den Tempel des Condors. Wenn so ein Handwerker im Gedenken seiner Arbeit, die zum grossen Werk beitraegt, einen Brocken tagelang mit Hammer und Meissel bearbeitete, bis er sich zum ebenmaessigen Quader verwandelte, hauchte er ihm mit dem Schweiss, den  Schmerzen, Freuden und Gedanken, die er darauf verwendete, etwas von seinem Geist ein. Die Summe der Bloecke zum Tempel aufgebaut, ergibt dann fuerwahr einen spirituellen Ort, in dem das Heilige angerufen, Gehoer finden kann.

Im Zentrum der Anlage befindet sich Intihuatana, “der Ort, an dem man die Sonne festhaelt”, man hatte schon damals erstaunliche astrologische Kenntnisse gesammelt, dieser Kraftstein hier fungierte als Sonnenuhr, wichtiger noch war er zur Bestimmung der Sonnenwende, die den Zeitpunkt fuer Aussaat und Ernte angab. Weil man den Ort so hochanlegte, blieb er auch von Schlammlawinen verschont, die zur Regenzeit haeufig die Doerfer im Tal begruben.   

Ein steiler Pfad fuehrt zu Wayna Picchu dem Nachbarberg, wo man nochmal die Aussicht geniessen kann, bevor gegen Mittag die Touristengruppen mit Bussen herangekarrt und herumgefuert werden, die hastig und manchmal frech draengeln, die Zeit im Nacken die komplette Anlage ablichten und  ausser ihren Fotos nichts mitnehmen. Je mehr ich aber ueber Machu Picchu nachdenke, desto unklarer wird mir, warum dieser von den Inka selber wenig zelebrierte Ort in unserer Zeit so gefeiert wird. Es ist aber zumindest eine reich sprudelnde Geldquelle auslaendischer Devisen, die an eine riesige Werbemaschine gekoppelt ist.  

 

Warum der nur kurz bewohnte Ort alsbald den Kraeften der Natur ueberlassen wurde, bleibt Spekulationen ueberlassen. So war es zum Beispiel ueblich, bei Seuchenausbruechen die befallenen Siedlungen abzubrennen und sie fuer den bestimmten Zeitraum einiger Jahre unbewohnt zu lassen. Spaeter konnte man dann wiederkommen, neue Strohdaecher flechten, den Steinbauten selber konnte das Feuer nicht viel anhaben. Das geschah aber nicht mit Machu Picchu, man kehrte nie zurueck. Hatte man sich mit dem Verfall des Inkareiches bereits abgefunden? Aufgrund astronomischer Beobachtungen erklaerte der letzte Inkaherrscher Atahualpa das Reich bereits fuenf Jahre vor dem Eintreffen der Spanier fuer verloren. Das zumindest widerspricht der Vorstellung von  der Wiederkehr “Viracochas”, der das Ende bringen sollte in Gestalt Franzisco Pizarros, einem ehemaligen Schweinehirten.

Als dieser 1532 an der peruanischen Kueste landete, fand er das Reich bereits durch Masern und Pocken geschwaecht vor. Der Nachfolgekrieg zwischen den Bruedern Huascar und Atahualpa hatte die Bevoelkerung gespalten. Atahualpa besiegte seinen Bruder und fiel spaeter Pizarro im Norden in Cajamarca in die Haende, versuchte sich durch eine Huette voll Loesegeld freizukaufen, was man auf etwa 25 bis 45 Millionen Euro schaetzte, aber kurz darauf richteten sie ihn trotz der Einloesung durch Erdrosselung hin. Als Pizarro dann nach Cusco kam, stiess er bei der Einnahme der Stadt kaum mehr auf Widerstand.

 

Ganz zerschlagen mache ich mich am naechsten Morgen auf meinen langen Rueckweg. Irgendwann bin ich so matt und fiebrig, dass ich mich in einer Ruine neben dem Weg erstmal ablegen muss. Ein paar Stimmen wecken mich, ich tauche am Eingang so unerwartet auf, dass sich die Indiofrauen, mit ihren Kindern draussen ein Paeuschen einlegend entsetzen, mich glatt fuer einen Daemonen halten. Ich gebe mir alle Muehe zu erklaeren, ich sei bloss ein mueder Tourist und spraeche ausserdem gar kein Quechua wie die Geister ihrer Vorstellungen. Sie fassen sich zwar etwas, sehen aber zu, dass sie weiterkommen, so ganz geheuer ist ihnen die Sache hier nicht, dafuer bin ich etwas erfrischt und laufe belustigt weiter. In der Daemmerung bin ich endlich zurueck nach drei Tagen und knapp neunzig gewanderten Kilometern von denen der Schienenlauf am meisten zehrte. Ich krieche noch zu einem Camp auf der anderen Flusseite, wohin mich Edwin einlud, der kocht was und baut mir einen Schlafplatz, waehrend ich nur apathisch zuschaue.

                  

Als naechstes schaue ich mir eine Saline an, die seit zwei Jahrtausenden in Betrieb ist. Die Sole faengt man in hunderten von Becken auf, und bringt das getrocknete Salz spaeter wie seit jeher mit Eseln ins Tal, wo es heutzutage aber noch mit Jod versetzt wird. Dann fahre ich nach Maras hinauf und laufe zu den drei Rundterassen von Moray, welche die Inka als Laboratorium fuer Pflanzenexperimente anlegten. Jede Ebene der sich aufbauenden Terassen soll ein eigenes Microklima aufweisen. Auch diesen Orten sagt man Energiefelder nach, aber langsam sind meine Sinne ueberreizt und die Aufmerksamkeit an dem enggesteckten Pflichtprogramm der Sehenswuerdigkeiten laesst zusehend nach.

Auf dem Rueckweg maulen mich dann noch Schulkinder auf ihrem Heimweg nach Sueskram und Kleingeld an, sie bekommen natuerlich nichts von mir ausser ein paar gutgemeinten Fluechen, darauf die groesseren aus sicherer Entfernung mit Steinen nach mir werfen. Der eilige Tourist kann zu Hause mit schoenen Fotos prahlen, lachende Kindergruppen im Bild, diese er mit Bonbonwaehrung bezahlte, um sein Gewissen zu beruhigen, falls er der erste hier mit seiner Kamera war oder eben auf ihre bittlosen Forderungen, die einem Handel gleichend, ihn nun zum Ablichten berechtigen – ich hab’s so oft schon erlebt. Er versaut damit nicht nur den Nachwuchs in solchen Regionen, er macht es auch den nachfolgenden Besuchern schwer, noch so etwas wie einen urspruenglichen Eindruck der Menschen, abseits der Attraktionen mitzunehmen. Auch das ist zu bedenken, wenn man vom “Sanften Tourismus” spricht.

 

Zurueck im Ort suche ich mir eine Bleibe und kann gegen Bezahlung in der Kueche des Pfarrhauses schlafen. Mein Unterhaendler lockt mich dann noch fuer eine weitere Spende in die kleine mittelalterliche Kirche die voller Fresken, Wandteppiche und lebensgrosser Heiligenstatuen ist, wunderschoen sieht es aus, aber alles braeuchte dringend eine Restauration. Dann fuehrt er mich noch hinter seiner Chichafahne in den Glockenturm, wo erselbst mit den vier Stricken der Glocken in den Haenden gekonnt den Rhythmus ablaeutet. Wie Quasimodo, von dem er wohl noch nie hoerte, schlaeft auch er in der Kirche und zwar in einem gammeligen Bett auf der Empore.

 

Das ist auch das Auslaeuten des engesteckten touristischen Rundkurses fuer mich, auf steiniger Piste gelange ich nach Anta zur geteerten Hauptstrasse. Diese zieht sich dann erstmal im Spruehregen auf 4000 Meter hoch, bis sie danach fuer dreissig Kilometer ins naechste Tal abfaellt, wo mir die Beissfliegen zusetzen.  

In den naechsten zwei Tagen windet sich die Strasse in Serpentinen wieder heraus, bis ich dann erneut auf 4000 Metern die Stadt Abancay erblicke, die unter mir schon wieder auf 2400 Metern liegt.

In diesen Tagen beobachte ich einmal ein paar Jungen welche die in Kehrtwenden nach oben verlaufende Strasse vor mir kreuzen, bis sie dann aus sicherer Anhoehe Steine nach mir werfen und sich vor meiner Wut verstecken. Als es dann endlich auf der anderen Seite bergab geht, knallen mir grosse Erdbrocken vom obenliegenden Hang gegen das Rad. Dort hat sich ein haemisch grinsender Bengel aufgebaut, die Arme provozierend in die Seiten gestemmt. Natuerlich lasse ich mein Rad nicht alleine zurueck und verfluche ihn nur aus Leibeskraeften. Ich kann sowas nicht nachvollziehen, meine Guete, wir waren auch wilde Jungen, haben uns gepruegelt, in Muelltonnen versteckt, Leute aufgezogen, aber solche boeswilligen Spiele kamen uns doch nie in den Sinn. Ueberhaupt sind mir die Indios in diesem Abschnitt wieder feindlich gesinnt. Nur in der Gruppe zusammen herumlungernd, trauen sie mich anzupoebeln, an ihr “Gringo”-Gezische habe ich mich schon fast gewoehnt, ihre Koeter verfolgen mich klaeffend und niemand findet sich, der sie zurueckruft. Selbst die Frauen, die mir sonst immer mit mehr Waerme als die Maenner entgegenkommen, antworten oft nicht einmal, trollen sich einfach ins Haus zurueck. Ruehrt ihre Feindseligkeit vielleicht aus vergangenen aengstlichen Jahren, als diese Gegend von der Terrorgruppe "Leuchtender Pfad" beherrscht wurde?

Ich bekomme, bei dem Versuch mir einen Reim auf ihr Verhalten zu machen, den Eindruck, man schere sich hier ueberhaupt nicht um Erziehung und Aufklaerung, lasse alles wachsen wie und wohin es will, ueberlasse alles der Natur, niemand bremst die heranwachsenden Jungen in ihren Maennlichkeitsversuchen, sich in Kraeften, Mundwerk, Lautstaerke zu beweisen. Ihr Lebensinhalt beschraenkt sich auf die primaeren Beduerfnisse von Nahrung, Fortpflanzung und Schlaf, im eigenstaendigen Denken ungeuebt uebernimmt man die allergroebsten Vorurteile ueber die Fremden, schert sie saemtlich ueber den gleichen Kamm. Erziehung ist eine heikle Sache, aber hier scheitert es schon am Versuch. Das klingt boese, aber bitte, woher kommt dann ihr Hass, ihr Neid, den ich Alleinreisender zu spueren bekomme? Das ist kein bischen fair! Nur wegen meiner Hautfarbe werden die Berge fuer mich nicht flacher, schwitze ich hier nicht weniger. Mit meinem Geld wuerden sich die Allermeisten mit Konsumguetern schmuecken, um sich vorzumachen, das Leben waere von nun an einfacher oder auch in der Illusion, sich so in der Geltung heraufzusetzen zu koennen. Oder man wuerde schlicht versuchen, das Geld zu vermehren, ein Leidenschaft, die mancher bis zum Tod betreibt, um sich von diesem so richtig erschrecken zu lassen. Niemand haette hier den Schneid, seinen Horizont erweiternd, aus seiner kleinen Welt aufzubrechen, er entbehrte der Beispiele dazu und ahnt es: Die Welt da draussen wuerde ihn erschlagen. Auf der Vergangenheit, der Welt der Vorfahren, darf man sich nicht ausruhen. So treten sie auf der Stelle, werden eingeholt vom heute und koennen nur mit Unmut die andere Welt bedenken, die sich mit seinem Rad schnell davonmacht. Eine Genugtuung bleibt fuer mich: Einem jeden steht es ins Gesicht geschrieben - man darf sich nicht vormachen, das Leben hinterliesse keine Spuren auf dem Antlitz. 

 

In Abancay ruhe ich mich ein paar Tage aus, dafuer beschaeftige ich mich mit meiner Ausruestung. Ich beschliesse, die bergige und teilweise schlechte Strecke in den Kordillieren auszulassen, statt dessen zur Kueste nach Nazca zu fahren. Aber weit gefehlt, es wird noch lange nicht eben. Zweimal muss ich noch durch tief eingeschnittene Taeler wieder hinauf auf 4500 Meter, die Strecke zieht sich, ist erschoepfend, die Steigungen erscheinen oft endlos. Entweder man laed sich genug Wasser und Essen auf, schleppt es die Berge herauf, um irgendwo in dieser spaerlich besiedelten Gegend auf windigen Ebenen zu zelten oder man startet mit dem ersten Sonnenstrahl und versucht gegen Abend noch die naechste Siedlung zu erreichen. Das ist die bessere Idee, denn nachts wird es bitterkalt, erst am spaeten Vormittag bringt die Hoehensonne das Eis zum Schmelzen und die Tiere warten geduldig, bis sie wieder trinken koennen. Aber trotz der Anstrengungen habe ich wieder eine gute Zeit und die paar Siedler in dieser Einoede freuen sich ueber jede Abwechslung. Manchmal kann ich an kleinen Lagunen rastende Flamingos betrachten, Lamas ziehen umher, spaeter treffe ich auf Herden von Vicuñas, der kleinsten Lamaart, die wegen ihrer feinen Wolle so begehrt sind. Mit drolligen Wieherlauten warnen sie ihresgleichen vor meinem Herannahen.

 

An einem schoenen Sonntagmorgen betrachte ich dann von 3700 Metern Hoehe im blauen Dunst vor mir den Pazifik. Was fuer ein Ausblick! Vor mir liegt eine fantastische Abfahrt durch die Wueste. Langsam rolle ich hinab, passiere Waelder von Kakteen, die mich wie mit erhobenen Armen gruessen, bin umgeben von Stille, kann mich wieder erinnern. Ohne den Menschen steht die Zeit still, sie ist eine kleinliche Erfindung von ihm, um sich die gedachte Lebensspanne besser einzuteilen, kommt es mir in den Sinn, waehrend ich mich durch diesen unveraenderlichen Raum aus Wueste bewege, aber alles Wesentliche dreht sich um das Unding Liebe, welche nicht fassbar ist, wie das Goettliche selbst, alles was ihr entbehrt, ist eine schleichende Krankheit und kann nur als entschuldigender Zeitvertreib bezeichnet werden.

Gegen Nachmittag bin ich dann in der heissen Ebene angelangt und krame die Sommersachen aus dem Gepaeck. Im Vorbeifahren lese ich gerade noch ein Schild, was den Weg zu den ersten Geoglyphen hier bei Nazca weisst. Dort ist dann auch niemand ausser mir, die bekannteren Figuren sind weiter suedlich im Kuesteninland und nur von der Luft aus zu besichtigen. Da zeichnen sich riesige Trapeze vor mir ab, andere Linien kreuzen sich im geometrischen Zickzack verlieren sich in der Ferne. Ich bin entzueckt, betrachte sie von umliegenden Huegeln, laufe hin und her, setze, stelle, lege mich auf Schnittpunkte zusammenlaufender Linien, lache kopfschuettelnd und ueberlege mir wie Millionen andere zuvor, warum sie angelegt wurden. Ganz bestimmt haben sie ihre mystische und astrologische Bedeutung, aber vielleicht hat es ihnen auch nicht an Vorwitz gemangelt, vielleicht haben sie sich auch einen Riesenspass mit der Nachwelt erlaubt: “Lasst uns mal wieder etwas Verwirrung stiften, damit unsere Brueder aus der Zukunft nicht das Denken und Phantasieren verlernen, hinterlassen wir ihnen ein kleines Chaos wie es ja auch am Anfang war, auf dass sie wieder nach einem Sinn suchen, sich Goetter und Daemonen erschaffen, ihre Welt vergroessern, indem sie ihre Gedanken mehren. Wir wollen auch nichts Schriftliches hinterlassen, das waere gar zu einfach und man wuerde es nur aus einer Sichtweise betrachten. Denn wir stellen fest, ohne dem Empfinden der Mystik, fehlt es den Menschen nur allzuschnell an Inbrunst und Erfurcht, er schaut lieber nach aussen, laesst sich ablenken und verliert sich dabei, als den inneren Blick durch Versenkung zu schaerfen, um den ganzen zeitlosen Kosmos in sich zu spueren, von denen die inneren Stimmen fluestern!”   

Auch die bildenden Kuenstler der Moderne praesentieren ihre Kompositionen den Betrachtern, von denen jeder Interessierte eine andere Interpretation dazu entwickelt, mit dem stillen Vergnuegen, sich an der Vielzahl der Sinngebungen ergoetzen zu koennen.

 

Spaeter sitze ich in einem Café in Nazca, dessen Besitzer sich mir nach einer Weile als der Praesident zur Erhaltung der Nazcalinien vorstellt. Lange erzaehlt er mir von seiner Arbeit und gibt mir einiges Hintergrundwissen. Seit Beginn der Linienfluege in den zwanziger Jahren, berichteten Passagiere und Piloten von seltsamen Linien, die sich aus der Hoehe abzeichneten. Davon angezogen, gelangte Maria Reiche, die deutsche Mathematikerin hierher, verbrachte ueber vierzig Jahre damit, den Kodex der Linien zu entschluesseln. Anfangs wurde sie von den Bewohnern Nazcas als Hexe verschrien, wie sie taeglich mit Besen und Standleiter in der flirrenden Wuestenhitze ausharrte, die Linien Stueck fuer Stueck auskehrte, ihre Beobachtungen anstellte, doch gewann sie immer mehr Zuneigung, die bis zum Praesidenten reichte und setzte es schliesslich durch, dass die Scharrzeichnungen als Weltkulturerbe anerkannt und somit unter Schutz gestellt wurden. Ihre letzten Geburtstage glichen Volksfesten, die auch nach ihrem Ableben 1998 im Alter von 95 Jahren weiterhin in Nazca gefeiert werden. Immer mehr vom Geist erfuellt, ueberlebte sie nach eigenen Angaben “wie in einer Kapsel geborgen”, einen schweren Autounfall ohne jeden Kratzer, als sie ein anderes Mal einem LKW hinterher lief, der auf den Scharrzeichnungen herumfuhr, verlor sie dabei ihre Sandalen, jedoch ohne sich in der Mittagsglut die Fuesse zu verbrennen oder sich an den Steinen zu verletzen, so erzaehlte es mir Percy, der ein Freund von ihr war, warum sollte er sich solche Geschichten ausdenken?

Sie gelangte zu der Ansicht, bei den Zeichnungen handle es sich um das groesste Astronomiebuch der Welt. So weisen einige Endlinien exakt zum Stand der Winter- und Sommersonnewende. Andere Figuren wuerden Sternenkonstellationen wiedergeben.

Am naechsten Morgen nimmt er sich nochmal Zeit fuer mich und wir besuchen mit dem Taxi eine aus den Bergen kommende unterirdische Wasserleitung, die sauber mit Steinen ausgekleidet ist. Alle paarhundert Meter legte man trichterfoermige Oeffnungen an, um die Tunnel sauberhalten zu koennen. Dort bedankt sich mein freundlicher Fuehrer bei “Pachamama” und wir trinken einen Becher des glasklaren Wassers auf ihr Wohl. Man schickte Leute in die Tunnel, um ihren Anfang zu ergruenden, nach vierzehn Kilometern gab man auf, weil ihnen die Luft ausging. Die Bluetezeit der Nazca datiert man zwischen 370 vor Christus bis 450 nach ihm, aber diese Tunnelsysteme, “puquios” genannt, sind weit aelter, verlieren sich in der Namenlosigkeit. Dann fahren wir zu anderen Linien und Spiralen, seiner Meinung nach handele es sich um rituelle Wettkampfstaetten, nur dem Sieger war es bestimmt, die laengste sich nach den Bergen auszeichnende Linie zu betreten, die auf sogenannte “huacas”, heilige Orte hinweisen wuerde, wo sich geistige Energien konzentrierten.

Andere Stimmen behaupten, dies seien Orientierungslinien fuer den Schamanen auf seinen imaginaeren Flug mit Hilfe halluzinogener Stoffe des Stechapfels und des San-Pedro-Potosi-Kaktusses, um Verbindungen zur Geisterwelt aufzunehmen. Diese Vermutung belaeuft sich auf “Ballonfahrer”, die auf fanatstischen Toepferarbeiten dieser Epoche abgebildet sind.

Ein Erich van Daeniken ist der Ueberzeugung, dies seien Landebahnen fuer Ufos gewesen. Mich stossen solche Ideen von Ausserirdischen eher ab, einfach aus dem Grunde, dass der Mensch schon mehr ueber das Weltall weiss, als was in den Tiefen der Ozeane passiert, das ist schlicht paradox – man schaut ins Weite auf der Suche nach Antworten und vergisst das Naheliegende! Ich hoffe, man wird nie intelligentes Leben auf anderen jahrzehnte- oder jahrhunderteweiten Planeten entdecken, ich will nicht dahin, wie auch, in einer Kuehlbox? Vielleicht haben es die Ufopiloten ja geschafft, die Zeit wegzudenken und kommen aus einer anderen Ebene? Es bleibt dabei: Man brauch den Dingen nicht hinterherrennen, sondern das Wichtige und Ersehnte kommt schliesslich zu einem selbst. In der Zwischenzeit soll man sich gefaelligst mit dieser Welt, ja mit sich selbst auseinandersetzen, da findet sich genug Potenzial, als beispielsweise aus eitlem Forscherdrang ernsthafte Ueberlegungen an einer Marsbesiedelung zu erwaegen.

 

Man vermutet, dass der Untergang dieser Hochkultur mit dem Eintreffen von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Duerreperioden, Springfluten und El Niño besiegelt wurde, vielleicht sind sie aber auch von dieser Welt verschwunden, weil sie die Grenzen menschlichen Wissens uebertraten, dessen Moeglichkeit schon von Carlos Castañeda und Gabríel Garcia Marquez angedeutet wurde.

Die bekannten Figuren von Kondor, Affe, Kolibri, Hund, Wal und dem “Eulenmann”, koennten auch als Darbietungen, fuer Gott Sonne verstanden werden, auf dass er immer gnaedig bedenke, wie sehr alle seine Kreaturen des Wassers beduerfen, gerade in dieser Trockenheit hier.

Diese schaue ich mir nun nicht mehr vom Flugzeug aus an, halte nur noch beim Aussichtsturm an der Panamerikana, auf der ich ab jetzt immer wieder fahren werde.

 

Viel zu spaet passiere ich einen verdreckten Wuestenstreifen, die Strasse ist von halbverwehten Kreuzen gesaeumt, bis ich endlich nach fuenfzig Kilometern in der Dunkelheit ein unbewegliches Licht am Horizont ausmache. Das gehoert zum Haeuschen des Waertes eines Sendemastes, dessen Arbeit es ist, zweimal am Tag Benzin in den immerzu laufenden Generator zu schuetten, das macht er jetzt schon drei Jahre lang.

Zu solcherlei Arbeiten fuehlen sich die Leute hier gerne berufen, hinter den begehrten Fahrerjobs kommen gleich die Waertertaetigkeiten, da erhaelt man eine Uniform und manchmal sogar einen Waffe dazu, laeuft seine Wege ein paarmal auf und ab und ausgeruht geht man irgendwann nach Hause. Solange, wie sie dabei neidlos zufrieden bleiben, seien ihnen diese Beschaeftigungen herzlich gegoennt. Zu einer Facharbeiter-Ausbildung gelangen hier die allerwenigsten, denn diese muss man bezahlen und dafuer ist kein Geld im Haushalt da.

 

In der Stadt Ica besuche ich auf Empfehlung das Regionalmuseum, was eine feine Auswahl an Toepferartefakten und Textilien aufweist, ja selbst Kleider aus Federn wussten die Ahnen zu fertigen, durch das trocken-heisse Klima ueberstanden diese Grabbeilagen oft die Jahrtausende im Wuestensand. Vor den Nazca dominierten ueber 3000 Jahre die Paracas auf ihrer Halbinsel und den Kuestenstreifen. Mit ihnen verbindet man auch die Schaedeldeformationen durch Bandagen an Stirn und Hinterkopf, die man vom Saeuglingsalter bis in die Jugend anlegte und so diese ovale, ja spitzkoepfige Schaedelform ergaben. Bekannt waren sie ebenfalls fuer ihre Schaedeloperationen. Die ersten Trepanationen datiert man auf 400 vor Christus, diese begruendeten sich medizinisch auf schwere Faelle chronischer Kopfschmerzen und Epilepsie oder waren religioesen Ursprungs, um Geister auszutreiben. Entweder saegte man Stuecke aus der Schaedeldecke oder man schabte den Schaedelknochen ab, die Frage nach einem womoeglich fehlenden Narkotikum bereitet mir wahnsinnige Kopfschmerzen. Erstaunlicherweise genasen mehr als die Haelfte vollstaendig von solchen Eingriffen.

 

Die Strasse windet sich in lang gezogenen Kurven durch monotone Duenelandschaft und nach Plan fahre ich dann am naechsten Sonntagmorgen durch Lima. Ich versprach mir davon etwas gemaessigten Verkehr, aber den gibt es nicht in dieser 16-Millionen-Metropole. Nach fuenfzig Kilometern ueber zerloecherten Asphalt, sich dabei immer schoen rechts haltend, wo der meiste Glasmuell rumliegt und mich die Microbusse staendig schneiden und ausbremsen bin ich dann durch diese oberhaesslichen Aussenbezirke. Jetzt muss ich noch einen 1100 Meter hohen Kuestenzug ueberfahren, dahinter ist dann alles wieder ziemlich entspannt. Die Landschaft bleibt eintoenig, die Wueste ist mit Automuell gesprenkelt, die Sonne bleibt fuer Wochen im Dunst verborgen. Oft stehen lange Baracken im Sand in der Naehe des Strandes, das sind Gefluegelfarmen, wo die Huehner mit proteinhaltigem Fischmehl gemaesstet werden. Diese zu produzieren, ist hier an der Kueste immer noch billiger als der Fischfang.

 

Bei Casma besuche ich noch die Tempelstaette von Sechin. Dort ist in Steinmonolite eine grausame Schlacht geritzt, die 1500 vor Christus stattgefunden hat.

 

Vor Trujillo treffe ich zwei Rennradfahrer, die ich halbherzig nach der Adresse einer Radherberge frage, von der mir Joachim einmal erzaehlte. Erst fahre ich aber noch zu den von den Spaniern auf Schatzsuche halb abgetragenen Pyramiden von Sonne und Mond aus der Moche-Kultur, am spaeten Nachmittag bin ich dann beim Radhaus angelangt, ganz herzlich empfaengt mich Araceli mit ihrer Tochter Angela und mehrere Radreisende aus Kolumbien, Australien, Frankreich und Deutschland. Laut ihrer Statistik kamen schon sechshundert Rader hier vorbei, denn das ist die einzigst passable Verbindungsroute, die sich in Suedamerikas Norden ergibt. Die Idee zu dieser Radfahrerherberge stammt von Lucho dem Ehemann, selbst passionierter Rennradler, der spaeter am Abend kommt. Er besuchte sogar schon die "Tour de France" und traf sich dort mit einigen Radlegenden.

Man zahlt nichts fuer die Unterkunft, unter dem Motto "Mi casa es tu casa!", schlaeft jeder auf seiner Campingmatte,  man kocht gemeinsam, betrank sich und tanzte bis in den fruehen Morgen. Soviel Spass hatte ich lange schon nicht mehr! Nebenbei konnte man unter fachlicher Anleitung Luchos die Raeder ueberholen.

Einzelfahrer begleitet er sogar oft genug noch aus der Stadt, denn die ist recht gefaehrlich und abends wird es kriminell. Der Nachtwaechter schlendert mit Trillerpfeife seine Strasse auf und ab, gibt alle paar Meter einen ihm eigenen Pfiff ab, um die Gauner auf sein Kommen vorzubereiten, dass sie sich doch bitte solange verstecken moegen. Die Frachttueren der Lastzuege sind allesamt bedrohlich mit Dornengestruepp verbaut, um Dieben das Oeffnen dieser bei Zwischenstops zu erschweren. Gleich am Ankunftstag sehe ich, wie eine Bande Halbwuechsiger an einer Strassenecke ein junges Paar ausraubt, den Mann zusammenschlaegt, was seine Freundin verzweifeln laesst, waehrend einen einzigen kleinen Meter davon entfernt mehrere Maenner in den besten Jahren an einer Wand lehnen und keinen Finger ruehren. Alles dauert nur ein paar Sekunden und schon ist der feige Trupp zwischen den Autos verschwunden. Weil ich immer meinen Senf dazugeben muss, empoere ich mich natuerlich bei den Alten, die nichts anderes entgegenzubringen haben, als dass die Jungens sonst Messer gezogen haetten und auf sie losgegangen waeren.. Das werte ich als haltlose Ausrede. Man darf solche Halbstarken nicht gewaehren lassen, sonst werden daraus noch Schwerverbrecher, Mord - und Totschlaeger, Lebensunlustige, man muss fuer seine Ueberzeugungen einstehen, sonst ergeben sie keinen Sinn! Mit Joachim  der auch gerade eintraf, fuehre ich eine Diskussion darueber, er meint, dies geschehe in den Grosstaedten zu hause genauso und alle wuerden nur zuschauen, waehrend ich mir einbilde, zumindest in der Hauptstadt liessen sich die Passanten solche Szenen in aller Oeffentlichkeit nicht einfach gefallen.

 

In der Stadt liefern sich viele Frauen einen heissen Kampf um die leckersten Torten, die sie dann ab spaetem Nachmittag in einer Glasvitrine durch die halb geoeffnete Haustuer verkaufen. Auch in dieser Kunst ist Araceli bewiesenermassen mit die Beste. Paola und Igel, eines der Radpaerchen richtet dem Haus als Dankeschoen auch eine Webseite in unserer Zeit dort ein: www.geocities.com/casadeciclistasperutrujillo

Wir besichtigen die Ruinen von "Chan-Chan", der "Stadt der Staedte” – der Hauptstadt des Chimú-Reiches, was sich tausend Kilometer entlang der Kueste erstreckte. Die Adobemauern der Stadt umfassten 28 Quadratkilometer, beherbergten 50000 Menschen. Sie vollbrachten groesste Leistungen mit ihren Bewaesserungssystemen welche das kostbare Nass aus den Bergen in diese trockene Gegend transportierte, mit dem Erfolg von zwei bis drei Maisernten pro Jahr. Es gibt viele verschiedene Arten von Mais, dem traditionellen Hauptnahrungsmittel der Voelker hier. Selbst als Medizin gegen Darm- und Harnwegserkrankungen verwendet man ihn. Fragt man mich, ob man Mais auch in meiner Heimat anbaut, muss ich beschaemt berichten, dass man ihn dort fast ausschliesslich als Futtermittel verwendet, diese Mais - Perlen vor die Saeue wirft, waehrend die Indios hier sogar eine Maisgottheit verehren. Auch waren sie ausgezeichnete Goldschmiede, doch ein Grossteil ihrer Arbeiten ging verloren, als die Spanier ihr Gold einschmolzen. Der Inkaherrscher Topa Yupanqui belagerte elf Jahre lang die Stadt, kappte die Wasserleitungen, bis die Chimú 1471 aufgeben mussten, ihre grossen Fertigkeiten von nun an unter die Gunst des neuen Herrschers stellten.

Fuer die vom Entdeckerdrang geplagte Forschernatur findet sich gerade im Norden Perus ein Paradies im Sand begrabener Altertuemer. Viele Staetten sind halb oder gar nicht erkundet, es fehlt dem Staat einfach das Geld dazu.

 

Da Johannes, ein Panamerikana-Radfahrer, dem wir im Radhaus trafen, noerdlich von hier ueberfallen wurde, er gluecklicherweise nur seinen Helm einbuesste, beschliessen Joachim und ich, ihm entgegenzufahren und fuer ein paar Tage als Gruppe aufzutreten. Endlich weg vom Schwerverkehr der Panamericana besuchen wir die Pyramidenstdt Tucumé. Wir treffen auf  Larry, einen Antropologen aus Berlin auf Radurlaub, der uns erzaehlt, vor nur zwanzig Jahren seien die Pyramiden noch sechs Meter hoeher gewesen, so gierig nagten der Wind und El Niño daran. Der aufmerksame Leser sollte sich nun die Frage stellen, ob die Pyramiden denn wirklich hunderte von Metern hoch waren, oder etwa doch das sich veraendernde Weltklima die Ursache am rapiden Verfall ist.

Hier laufen auch wieder Vertreter diesere alten, seltsamen Hunderasse herum, ganz ohne Fell sind sie, so koennen sich eben auch keine Floehe im nicht vorhandenen Fell festbeissen, ansonsten sind sie genauso kosebeduerftig wie andere Haushunde, aber eher klopft man sie herzend, als sie zu streicheln, man wuerde sich nur wunde Haende holen.

Endlich werde ich auch mal von ein paar Muettern, die ihre Kinder auf Schulausflug begleiten, auf gegrilltes Meerschweinchen eingeladen.Vor allen in den Bergdoerfern Perus rennen sie zu hauf quietschvergnuegt in den Kuechen herum. Die kleinen Schweine sehen nun nicht nur niedlich aus, sondern schmecken auch gut.

 

Bald haben wir die Grenze nach Equador erreicht, Johannes hat es eilig und trennt sich wie ausgemacht sofort. Wir haben uns fuer die Bergroute entschieden, da die Erfahrung zeigt, die Leute dort sind friedlicher, ausgeglichener als die Kuestenbewohner. Aber es ist wieder schwere Arbeit. Wenn man im niedrigsten Gang die Berge hinauf tritt, und am naechsten Tag die Kniegelenke schmerzen, dann sind die Steigungen einfach zu steil. Es geht staendig hoch und runter, kein bischen eben wird die Strecke, das wird nun so bis Bogotá bleiben. Der Blick auf die Karte erklaert: Hier laufen die Kordillieren zusammen. Die Abfahrten sind ebenso ungeniesbar, da man sich leicht die Felgen beim Dauerbremsen ueberhitzen kann und dabei die Schlaeuche zum Schmelzen bringt. Die Tage sehen so aus, dass man morgens meist erst mal in ein Tal hinabrollt, dann kurbelt man so tausend Hoehenmeter hinauf, um auf der anderen Seite wieder herabzubremsen, am Nachmittag geht man dann die naechste sich aufbauende 1000-Meter-Wand an und bemueht sich wieder bis zum Dunkelwerden. Interessant ist, wie man seine gedachte Schmerzgrenze jedesmal neu abstecken kann. Zusammenfassend ist dieses Andenstueck seit Peru das zehrendste der ganzen Reise, klar war Tibet auch anstrengend, aber dank der Einheitsbauweise der Chinesen sind die Strassensteigungen fuer die nur schwach motorisierten LKW im Land der aufgehenden Sonne auf sieben Prozent eingeeicht, so erklaerte es mir Joachim, der dort acht Monate zubrachte, hier dagegen sind es haeufig ueber zehn Prozent.

 

Die Distanzen gibt man wie fast ueberall in Lateinamerika immer grosszuegig im Zeitmass an. Dabei redet man in Auto- oder Busgeschwindigkeit, das nuetzt mir recht wenig, vor allem wenn es durch die Berge geht, von der laengenmaessigen Entfernung hat man wenig Ahnung, aber bevor man sich die Bloesse gibt - die Maenner bringen es einfach nicht fertig, zu sagen,  sie wuessten es nicht oder auch, sie koennten es nicht - erfindet man lieber irgendeine fantastische Zahl in der Hoffnung, der seltsame Radfahrer laesst einen jetzt in Ruhe, was ich eingestehend dann auch oft grusslos, kopfschuettelnd und abwinkend mache. Es gibt viele Indiogruppen hier, Maenner wie Frauen tragen lange schwarze Haare und schoene Trachten. Ich wuerde ja gerne ein Bild davon machen, aber oft betrachten sie mich argwoehnisch und stumm, waehrend ich mich die Steigungen heraufquaele. Ich habe mir angewoehnt, dann lieber gar nicht zu gruessen, ausserdem muss ich einfach auch nicht dem ganzen Dorf zunicken. Statt dessen suche ich mir dann und wann ein mich unverwandt anstarrendes Augenpaar aus, schaue dieses fest an, bis es dem Besitzer zu ungemuetlich wird und er mich im letzten Moment aus dem menschlichen Gefuehl der Hoeflichkeit doch noch annickt, waehrend ich mich dann aber nur kalt abwende, auch das gestehe ich. Der Leser mag es kaum glauben, aber oft genug muss man sich auf solche dummen Spiele einlassen, um nicht zum Zirkusobjekt zu degradieren.  Eine andere Art, solcherart  Blicke abzuwenden, ist, sich selbst einen durchsichtigen Blick anzueigenen, geradewegs durch die suchenden, herausfordernden Gesichter hindurchzuschauen, wie ich es damals in Afrika lernte. Manchmal rufe ich den Typen zu, ob sie sich denn gerade in mich verliebt haetten, um den Spiess mal umzudrehen. Dies sind nur Massnahmen gegen ein allzufreches Gegaffe, die mir selber keinerlei Freude bereiten, gluecklicherweise weiss der groessere Teil intuitiv von solcherlei Verhaltensregeln, der andere Teil versucht sich dagegen einfach nur wieder im Kreise seiner Gemeinschaft zu produzieren, weiter ist es nichts und wenn sie unbedingt spielen wollen, dann mache ich eben mit. Nickt oder ruft man mir dagegen auch mal freundlich entgegen, gruesse ich sofort eifrig zurueck.

Uebrigens waren diese Machospiele den Indios urspruenglich gar nicht eigen, sondern sind ein weiteres Mitbringsel der Konquistadoren.

Mittlerweile hat man sich mal wieder getrennt, hinter Riobamba nehmen wir drei im zeitlichen Abstand eine alte Strasse zum Thermalquellenort Baños. Ich wundere mich ueber Geisterdoerfer und deren recht gut erhaltene Anwesen, nicht einmal ein Hund schlaegt an. Die Strasse ist mit Vulkanasche bestreut, an immer mehr Stellen ist sie einfach weggebrochen, ausgeloesst durch Wassermassen und Steinlawinen, kleine Holzbruecken verbinden sie wieder. Geroellberge zwingen zu schlecht einsichtigen Umwegen. Aber das Fehlen von Autos macht mich wie immer sofort viel froehlicher. Gegen Abend komme ich dann zu einem Dorf, wo man mich darueber aufklaert, wie der gerade von Wolken verhangene Vulkan Tungurahua hier im Jahre 2000 ausbrach und viele Siedler fuer immer verjagte.

Es ist Sonntag, man trifft sich auf dem Dorfplatz zum Fussballspielen, die Aelteren sitzen am Rand und unterhalten sich, waehrend die Kleinen unbeaufsichtigt im Dreck herumrobben. Ich bin immer wieder verwundert, wie sehr der Verkehr, die Leute veraendert, ja verroht, hier dagegen ist Friede, es gibt keine frechen, vorlauten Menschen, alles lebt neidlos im Einklang mit Nachbarn und Vieh.

Morgens helfe ich, Maissaecke aufzuladen, warte den Regen ab und rolle weiter. Tiefe, sattgruene Taeler zeigen sich, aber nach oben hin ist alles bedeckt, nur wenige Male sehe ich im Abendlicht ein paar Vulkane fuer die Equador beruehmt ist. So faellt auch jede Wanderung ins Wasser, das sich mittlerweile taeglich ergiesst.

Dann bin ich zurueck auf der Hauptstrasse und der Autowahnsinn hier im Land holt mich wieder ein. Gerade sind die Feiertage um Allerheiligen, die eine endlose Blechkarawane nach Baños bringen. Ruecksichtslos rast man knapp an mir vorbei, ueberholt ganz selbstverstaendlich auf doppelt geschlossener Fahrbahnmarkierung und draengt mich hupend von der Strasse, ich bin auch muede, immer davon zu berichten, doch ist es oft genug mein Alltag. Die Gallone Benzin, also 3, 78 Liter kostet soviel, wie ein Liter in Deutschland. Man beutet die Oelreserven im Dschungel aus, seit ein paar Jahren hat sich der Dollar als einzige Waehrung durchgesetzt. Neben Chile ist es das teuerste Land fuer mich in Suedamerika. Es ist peinlich, wie oft neue Autos vor halb zerfallenen Haeusern parken. Freiheit durch das eigene Auto ist pure Suggestion, alleine die verursachenden Eigenkosten bedenkend, macht es alles andere als frei. Am Fehlen des Randstreifens erkennt der Radfahrer am ehesten die jeweilige Autolobby der Laender. Die Ueberlandbusse werden dagegen nur wenig genutzt, was den jeweiligen Fahrer in seiner schwergewichtigen Position aber nicht davon abhaelt, wie ein Bekloppter zu rasen.

Ganz ziellos und kurzsichtig ist diese Politik im Lande, die sie laengst zum Stiefkind der amerikanischen Wirtschaft machte.

 

Aber man beschwichtigt in der ganzen Welt, meint, alles wuerde sich wieder einrenken, aber hat doch selbst kein Einsehen. Ja wer soll es denn in die Hand nehmen, wenn nicht wir? Man denkt bloss an sein eigenes Ego, denkt nur fuer die naechsten zwanzig, dreissig Jahre voraus, die Alten entschuldigen sich irgendwann bei den Jungen, die es deshalb nicht besser wissen, als sich spaeter ebenso vor ihrem Nachwuchs versuchen, zu rechtfertigen, man konnte gegen die aeusseren Umstaende ja nichts unternehmen, das stimmt sogar - fast! Was fuer ein Erbe - so kurzsichtig war noch keine Gesellschaft!

Ideale werden verpoehnt, Charakter wuerde nichts zaehlen - "money talks", die Oberen im Rampenlicht, die eine Vorbildfunktion innehaetten, luegen und betruegen unter einem Mantel von Hoeflichkeitsfloskeln, welche man dann als Diplomatie bezeichnet, die aber nichts weiter als ein Missbrauch der Sprachmittel ist.

 

Doch das groesste Begraebnis der Geschichte zeigte in diesen Tagen, wie sehr es den heutigen Menschen in ihrer inneren Zerissenheit und Orientierungslosigkeit nach Wahrheit duerstet,  nach einer geistigen Fuehrung, der man schlicht vertrauen kann, nach einem Weg zu lieben, nach einer guten Hoffnung.

- Was heisst hier "American Way Of Life"? – Dieser Spruch entbehrt der Definition. Warum wird immer noch suggeriert, die dortige Lebensweise waere zukunftsweisend? Das ist schlicht eine grobe, vorsaetzliche Luege! Schaut Euch doch um in der grossen Welt, die Allerwenigsten leben in diesem langweiligen Ueberdruss, aber dort wird man so beeinflusst, als wuesste man es besser und zaehlte mehr! Dabei pervertiert diese selbstredende “Erste-Welt-Gesellschaft” an endlosen Beispielen. Wer wirklich gerne, also auch lange leben moechte, der sollte sich beispielsweise den Lebenstil der Bewohner von Kreta aneignen, laut einer weltweit betriebenen Studie ueber fuenzig Jahre, wuerden dort statistisch gesehen die meisten Menschen ueber hundert Jahre. Die Insulaner fuehren aber ein eher bescheidenes Leben, einfach, baeuerlich, ohne Exzesse. Die alten Griechen haben es eben schon immer gewusst! 

 

 - "Kauft Leute, kauft, es ist Ausverkauf, die Welt wird ausgeraeumt, nach uns die Sinnflut, was gehen mich meine Kinder an!" -  Man denkt sich klug auf seinem Fachgebiet, aber hat es nie gelernt, in komplexen Systemen zu ueberlegen, geschweige denn zu handeln, uebergeht einfach, wie alles ineinander verflochten ist. Warum ist der Neumensch nur so bemueht, sich selbst zu beluegen und seine Welt immerzu kleiner zu machen, dass sie meist schon an seiner Wohnungstuer endet, wie kann er sich nur so zwischen Arbeit und Freizeit spalten? Das uebersaettigte Herz verschliesst sich vor der bedrueckenden Armut, etwa 30000 Menschen sterben taeglich an den Folgen von Mangelernaehrung, chemische Bestandteile aus Duengemitteln haben seit mehreren Jahrzehnten die Nahrungskette erfasst, selbst in den klarsten Gebirgsbaechen und ungebohrenem Leben finden sich Schadstoffe, jede dritte Frau erkrankt mittlerweile an Krebs – und stirbt in den armen Laendern daran, weil man sich die kostspielige Operation und die anschliessende Therapie nicht leisten kann. Das sind Nachrichten, die taeglich ueber die Bildschirme laufen sollten, damit sie sich ins Herz einbrennen, es erweichen! In den 70er Jahren wurde von den Vereinten Nationen ein Plan zur Welthungerbekaempfung aufgestellt, aber man setzte ihn nicht in die Praxis um, weil bei den Machern des Systems keinerlei  Interesse besteht, die Kluft zwischen arm und reich zu ueberwinden. Die Macht der Medien behauptet sich immer noch erfolgreich gegen die Aufklaerung. Man meint, man waere Herr seiner selbst, aber seine Umgebung normte einen Stueck fuer Stueck, man verhaelt sich lieber unauffaellig massenhaft,  jeder Unverstandene wird mit dem grobgerasteren Wort "verrueckt" abgetan, auf dass man in der Masse lachen kann, manchmal im Geheimen kommen leise Zweifel, doch von solchen belastenden Gedanken wird man schnell muede - die Konzentration wurde nie darauf geschult und man macht so weiter, betaeubt sich funktionierend als "Haben-Mensch", ist nicht frei als "Sein-Mensch", so beschreibt es passend Erich Fromm in seinem Buch "Haben oder Sein", das durch seine Klarheit in die Pflichtlektuere der Schulen aufgenommen werden muesste, spraeche man mit Recht von einem freien Bildungssystem.

Dieses Desinteresse an einem draengenden und somit immer radikaleren Umdenken auf ganzer Linie ist auch nichts weiter als die Folge einer lebenslangen Indoktrination, unter diesem Aspekt finde ich wenig Unterschiede zwischen der Ideologie des Kommunismus und der des Kapitalismus. Man darf es nicht laenger erlauben, sich so irrefuehrend manipulieren zu lassen! Wie lange lassen wir uns noch bevormunden? Wir man etwa gefragt, ob man dabei mitspielen will, foerdert man Alternativen? Dies Welt ist augenblicklich zu einseitig - belastet und beladen, so wird sie nur umkippen. Was bringt dem kleinen Buerger das staendige Gerede ueber Wirtschaftswachstum, der wird doch gar nicht gefragt, das macht die finanzielle Elite unter sich aus und lacht sich ins Faeustchen in ihrer Wahnvorstellung, es besser zu wissen! " Geht's noch ein bischen mit der Wirtschaft, waechst sie noch ein Stueckchen, laesst sich noch mehr herausholen, ausbeuten?" - Die Welt in den Haenden der grossen Konzerne! Taeglich wird einem das Wort “Wirtschaft” in den Sinn gerufen, wird aufgeblasen, wird einem eingetrichtert, als gaebe es eine neue Gottheit zu kreieren.

Da heisst es: “Wenn man viel arbeitet, koennte man es noch zu etwas bringen!”, nur sind wir in der Mehrzahl lange nicht so verblendet, das Leben nur aus der Arbeitsproduktivitaet zu betrachten. Aber in diesem System wird man unwillkuerlich als faul abgestempelt, wenn man dabei nicht mitmachen will.  Die meisten wollen doch einfach nur ein beschauliches Leben fuehren,  worauf jeder sein Recht hat, wollen auch noch zum anregendenden Nachdenken ueber Sinn und Zweck des eigenen Dasein kommen. Arbeit als Lebensmittelpunkt verraet geistige Verarmung und eine blosses Funktionieren in dieser Konsumgesellschaft! Leben um zu arbeiten? Warum sollte man seiner Nachwelt denn viel Geld hinterlassen, nicht mal unseren Kindern waere damit geholfen, sie wuerden nur verweichlichen und hochmuetig werden und so des Lebens bittere Suesse nie schmecken lernen. Da besichtigte ich schon viele Staetten vergangener Kulturen,  meint denn der Vertreter des Kapitalismus allen Ernstes, seine Ellenbogengesellschaft waere von Bestand, ja haette irgendeinen Anspruch auf Erhaltung der Arten, der Natur, haette einen Anspruch auf Menschlichkeit, auf Fortbestand? Diese Frage in seiner Dringlichkeit beantwortet sich selbst. Was schlussfolgert sich daraus? Selbst der Erste Weltkrieg wurde aus dem Gefuehl eines unabwendbaren Umbruchs begonnen, da er verloren wurde, machte man so weiter, wie zuvor, ja liess es zu, dass diese Gesellschaftsform laengst zum  Imperialismus mutierte. Hat man denn kein Einsehen, nach diesem gerade ueberstandenem blutgetraenktem Jahrhundert?

Dieser ganze Wahnsinn geht in erster Linie von der maennlichen Menschenart aus. Das Weib dagegen hat meist keinen groesseren Wunsch, als sich in der Liebe zu finden, ihr zu dienen, mit seinem Wunschpartner zusammen zu leben, als Mutter fuer ihre Kinder zu sein.

 

Irgendwann erreiche ich dann Quito, erfolglos suche ich nach Radlaeden, die nicht mehr existieren, weil sie als Folge der Dollarisation innerhalb eines einzigen Jahres schliessen mussten. Ziemlich sauber ist diese Stadt, die Einfuehrung eines modernen Busleitsystems hat den Verkehr um Einiges entlastet. Hinter Quito auf dem Weg nach Kolumbien beruhigt sich der Verkehr schnell, auch die Leute kennen hier weniger Tourismus und verhalten sich auch gleich natuerlicher und somit freundlicher. Am Aequatorstein fahre ich mal wieder vorbei, so schlecht ist er markiert, was ganz typisch fuer das Land ist. Denn trotz des Autowahnsinns fehlt es oft an Strassenbeschilderung, wichtige Kreuzungen sind nicht gekennzeichnet, immerzu muss man fragen, irgendwas stimmt doch hier nicht.

In einem warmen Tal begegne ich dann vielen Schwarzen und ihre Froehlichkeit erinnert mich an Afrika. Ein Junge rennt mir ueber zwei Kilometer nach, bis ich an einem Kiosk halte, er bettelt nicht, fragt nicht, strahlt mich nur an uebers ganze Gesicht und weiss gar nicht, was fuer ein Geschenk er mir damit bereitet. So ein Laecheln aus der Seele verbindet uns, macht satt fuer den ganzen Tag, solches Laecheln traegt die Welt.

Dann steigt die Strasse langsam wieder auf 3000 Meter an, in kleinen Doerfern uebernachte ich,  immer bin ich dankbar um jede Freundlichkeit, die man mir entgegenbringt. 

 

Je naeher ich Kolumbien komme, desto mehr freue ich mich darauf. Soviel Schoenes habe ich schon davon gehoert, sooft hat man schon darueber nachgedacht, hat manche Situationen sozusagen geradegedacht, dass ich schliesslich nur noch ein gutes Gefuehl habe. Ohne grosses Bedauern verlasse ich Equador bin alsbald entzueckt, wie liebenswuerdig man gleich hinter der Grenze zu mir ist, aber das will ich erstmal auf meine Anfangseuphorie in jedem neuen Land schieben. Oft schenkt man mir einen Kaffee oder mal einen Maiskuchen, ein paar Fruechte oder gibt ein Extrabrot beim Baecker drauf. Fuer Joachim ist das ja nichts besonderes, meint er, da er ja ziemlich duenn (aber zaeh) ist, wird er oefter mit Essen beschenkt, mir passiert das so gut wie nie. Die Leute sind durchweg gebildeter, als in den meisten Andenlaendern, daher ist es mir hier ein Vergnuegen, mich zu unterhalten, oft ruft man mich sogar als Deutschen an, weil sie die halb verblichene Flagge auf der Lenkertasche erkannten. Ich dagegen wusste vorher nicht, wie ihre Nationalflagge aussah. Man bemueht sich allerorts, den polemisierten schlechten Ruf ausserhalb des Landes zu widerlegen. Praesident Uribe, der seit 2002 an der Macht ist, versucht mit starker Hand die naechtlichen Kaempfe zwischen der Guerilla auf der einen Seite und den Nationaltruppen mit dem Paramilitaer auf der anderen Seite zu beenden. Entlang der Hauptstrassen praesentieren sich hier vor allen im wilden Sueden alle Kilometer Polizeiposten, die mich saemtlich freundlich weiterwinken.

Es ist ruehrend, wie sich die Leute bemuehen, einen friedlichen Eindruck zu hinterlassen. Allesamt  - und das ist eine schoene Sache - sind sie stolz auf ihr Land, manch einer klopft sich sogar vor die Brust bei seinen Bestaetigungen.

Nachts solle man zumindest hier in der Gegend zwar nicht auf den Landstrassen unterwegs sein, das aber ist nun kein spezieller Hinweis, sondern betrifft so ziemlich alle Laender der Welt.

 

Doch gerade in den Staedten ist die Armut augenscheinlich, es gibt im Sueden, wie an der Karibikkueste auffallend viel Prostitution alleingelassener Muetter, die so versuchen, fern vom Heimatort in cognito Geld zu sparen, um es ihren Kindern, bei den Grosseltern zu schicken. Frauen, die in eine Ehe gehen, bringen fast immer Kinder von frueheren Liebschaften mit hinein. Jeder versucht sich ueber Wasser zu halten, viele laufen mit Bauchlaeden herum, Zigaretten und Bonbons mit geringen Gewinn verkaufend, andere bieten Erfrischungen an. Die Alleraermsten, die Alten, ertragen ihre Situation allerdings stets mit Wuerde, die Wenigsten sieht man bettelnd herumsitzen und jeder Bessergestellte gibt doch taeglich etwas ab an seinen Landsmann, das gehoert zum guten Umgangston, ja ich bekomme den Eindruck, man sieht sich mehr als Bruder, so werde auch ich nicht wie sonst lapidar als "amigo" angerufen, sondern als "hermano", als Bruder eben. Auch "gringo" hoere ich fast nie, eher manchmal "mono", wie man hier den Weissen bezeichnet. Es gibt so gut wie keinen Rassismus im Land, da die Bevoelkerung bunt aus Schwarzen, Weissen, Latinos und Kreolen gemischt ist. Das sind alles solche kleinen Wichtigkeiten, die Kolumbien zu einem meiner liebsten Laender gemacht haben.

 

In der Kolonialstadt Popayán lasse ich mein Rad in der Herberge und mache mit dem Minibus einen Abstecher nach San Augustin zu den geheimnsivollen Grabstaetten in der Umgebung. Bauern stiessen dort vor noch nicht allzu langer Zeit bei Rodungsarbeiten auf unterirdische grosse Steinplatten, die durch seitliche Stuetzwaende einen Gang zur eigentlichen Grabkammer bildeten. Die aufgebahrte Person wurde durch eine gemeisselte Statue, die Stand und Beruf ausgibt, vor dem Gang verewigt. Es finden sich auch keinerlei Skelette oder Grabbeilagen, weil der Landarbeiter einfach vor dem Archeologen nach Schaetzen wuehlte. Man datiert diese Arbeiten auf 1500 vor Christus, weiss so gut wie nichts ueber diese Zivilisation. So fragt man sich, wie sie solche riesigen Steine zu ebenmaessigen Platten bearbeiten konnten, ebenso wie die langen Steinbalken, ja woher sie diese Steine holten, die hier nicht vorkommen, wie man diese also transportierte. Noch dazu waren sie mit eineinhalb Metern eher kleinen Wuchses, was ihre Muehen erheblich vergroessert haben muesste.

Die Huegel sind kuenstlich angelegt, sind aufgeschuettet, tausende von Tonnen Erde muessen sie an diese Orte transportiert haben. Selbst Frauenstandbilder gibt es, ja Figuren von schwangeren Frauen, was auf einen hohen Stand der Gleichberechtigung schliessen laesst. Die Ausdruecke der Gesichter haben allesamt naive aber wuerdevolle Zuege. Welch Aufwand fuer die Toten! Was fuer ein feierlicher Augenblick muss fuer sie die Begegnung mit dem Tod gewesen sein, wie etwas auf das man sein ganzes Leben zugeht!

Es gibt noch andere, abseits gelegene und damit weniger bekannte Grabstaetten, wohin ich mich bemuehen will. An einer Strassenkreuzung laesst mich das Sammeltaxi raus und schon das naechste Auto nimmt mich mit. Es gehoert Alfonso, der ist Chef der Kaffeegenossenschaft in der Gegend, 1500 Metern Hoehe und viel Niederschlag auf fruchtbaren Boden geben hier ideale Bedingungen fuer den Anbau vor. Der laed mich ein, bei ihm zu uebernachten und am naechsten Tag nimmt er sich Zeit fuer mich und bringt mich zu den Grabstaetten von "Altos de los Idoles", die noch fanatstischer sind. Die Landschaft ist wunderschoen mit sanft geschwungenen Taelern, lichten Waeldern, gruen, wohin das Auge blickt. Spaeter fahren wir zu einem Wasserfall, der 170 Meter in die Tiefe stuerzt, dort essen wir bei einem Bauern. Waehrend die Frau das Mahl zubereitet, roeste ich noch Kaffeebohnen ueberm Feuer, die man mir am Vorabend in der Kooperative schenkte und mahle sie sogleich. Sie trinken ihn im Land aus kleinen Tassen, schwach und mit Rohrzucker gesuesst, weshalb sie ihn auch nur "tinto" nennen. Wenn ich mir aber eine anstaendige Portion aufkoche, dann - mhm - schmeckt das fast wie Bitterschokolade, einfach koestlich!

 

Zurueck in Popayán ueberwinde ich mich schliesslich, meine Hinterfelge zu wechseln, die erstaunlicherweise von aussen unsichtbar innen rundum gebrochen ist und meine Ersatzfelge, die ich seit Buenos Aires mitschleppe, kommt endlich zum Einsatz.

Mit Joachim fahre ich dann nach Cali und ueberzeugen uns vor Ort davon, dass dort wirklich die schoensten Frauen auf einem Fleck zusammenkommen. Zugegeben sind es dem Alter nach eher Maedchen, eben im besten Alter..., doch ein wenig betruebt beobachten wir, wie sich die allermeisten von ihnen mit leicht feistgesichtig dreinblickenden Jungen abgeben, welche auch das Auto - vom wohlwollenden Papa gesponsort - stellen koennen, um die Fraeuleins bei Laune zu halten.

 

Hinter Armenia, der Stadt, die im Februar 1999 von einem schrecklichem Erdbeben heimgesucht wurde, gibt es zum vorletzten Mal in Suedamerika einen Pass zu bewaeltigen, auf nur 26 Kilomtern zieht er sich 1900 Hoehenmeter hinauf, dann faellt er ebenso steil ins warme Tal des Rio Magdalena ab und wenig spaeter zieht sich die Strasse wiederum in vielen Kurven nach Bogotá auf 2600 Meter hinauf. Dort bleibe ich nur zwei Tage und lasse mein Rad bei Bekannten, weil ich gleich nach Bolivien zurueckfliege, meine Freundin zu erschrecken.

Dort hat sich die Situation verschaerft, tagelang liegt der oeffentliche Nahverkehr brach, deren Chauffeure so eine Erhoehung der Fahrpreise erzwingen wollen, teilweise sammeln sie sich an wichtigen Kreuzungen und bewerfen die Taxen mit Steinen oder bearbeiten sie mit Holzknueppeln. Spaeter gibt es sogar einen zweitaegigen landesweiten Generalstreiks, gegen die Erhoehung der Kraftstoffpreise.              

Aber so anarchistisch lassen sich keine Probleme loesen, auch hier kaempft man gegeneinander anstatt miteinander. Die meisten Leute, an Unruhen gewoehnt, sehen es trotzdem gelassen. Nach Weihnachten gehen wir auf Busreise fuer eine Nordrunde im grossen Land,  wir fahren mit langen Einbaeumen auf Fluessen der Randauslaeufer des riesigen Amazonasgebietes, werden von Muecken teilweise zum Tanzen gezwungen, aber beobachten neben explodierender Flora auch Paradiesvoegel, Bruellaffen, fuettern Kapuzineraeffchen und bekommen sogar seltene Flussdelphine zu sehen.

Eine weitere gefaehrliche 24-Stunden-Busfahrt auf enger, vom Regen aufgeweichter Strasse hinauf nach La Paz, wo man jaehrlich immer noch etwa hundert Tote beklagt, lassen wir aus und fliegen im kleinen Propellerflugzeug dorthin, besuchen Christian, meinen schweizer Freund dort und sind puenktlich zu Delias Geburtstag zurueck in Santa Cruz.

 

Nach fuenf Wochen fliege ich nach Kolumbien zurueck und beeile mich, an die Karibikkueste zu fahren. Die Luft in dieser schwuelen Hitze, die mich im Tal hinter Bogotá empfaengt, ist so ungewohnt dick, dass mich jeder entgegenkommende LKW mit seinem Fahrtwind quasi ohrfeigt und abbremst, die Stunden zwischen zwei und vier Uhr nachmittags sind die drueckensten, wenn es auf dem Rad direkt schwerfaellt, die heisse Luft einzuatmen. 

Nach zehn Tagen komme ich in Santa Marta an und treffe mich das letzte Mal auf dieser Reise mit Joachim. Wir kennen uns jetzt seit ueber zwei Jahren, seit damals in Kambodscha, soviel wie man geteilt hat, zaehlt man sich mittlerweile zur Familie. Gerade ist er ueber Venezuela und Manaus in Belém, an der Atlantikkueste Brasiliens angekommen und moechte ueber Afrika zurueck nach Oesterreich.

Er schafft es, mich zu einem Tauchkurs zu ueberreden, der einzigen Moeglichkeit, die Wasserwelt kennenzulernen. Der dauert drei Tage und ist mit einem abschliessenden Test verbunden. Aber der Aufwand hat sich natuerlich gelohnt, man schwebte dort unten an Korallenbaenken mit seinen bunten Bewohnern vorbei, sah Feuerfische, seltsame wabbernde Riesenwurmer, naeherte sich schillernden Fischschwaermen. Schoen still ist es, wenn man mal nicht ausatmet und weil man keine Angst hatte, sich auf diese wundersame Welt einliess, zeigten sich auch keinerlei Gefaehrlichkeiten.

Als Joachim dann weiterfaehrt, gerate ich noch in einige Zeitloecher. Irgendwie will ich gar nicht weg, so gefaellt es mir in Kolumbien, ja in Suedamerika. Soviel lasse ich hier zurueck, was hatte ich fuer eine grossartige Zeit! Ich ahne, der Spassfaktor wird in Zentralamerika und immer weiter noerdlich Stueck fuer Stueck abnehmen. Aber hier grinst man um die Wette, die Musik ist mir eingegangen, ja bewegt mich,  nach Samba tanzt alles, schmachtende Maennerstimmen, vom Akkordeon begleitet, singen den Ballenato.

So viele schoene Menschen, wie es hier gibt! Die Frauen kleiden sich durchweg feminin, wandeln das Becken schwingend ein Fuss vor dem anderen, welch sinnliche Verschwendung! Fast alle spruehen vor Lebensfreude. Sobald die Kleinen zu laufen gelernt haben, fangen sie an zu tanzen, so drollig, sieht das aus,  ganz neidisch kann man werden, bei dieser Natuerlichkeit, der Grazie, dem Rhythmusgefuehl, dieser Laessigkeit! Tanzen ist eindeutig der Lebensfreude foerderlich!Vielerorts haelt man sich Papageien, die zu ihren Zeiten uebermuetig herumkrakelen. Dadurch, dass in den Doerfern alle etwa genauso viel an materiellen Guetern haben, gibt es nichts im Geiz  zu verbergen, so stehen die Haustueren tagsueber sperrangelweit offen. Zum Karneval betrinkt man sich ehrlich fuer mehrere Tage und die Musik droehnt von morgens bis abends. Unvergesslich, wie ein altes gebrechliches Ehepaar ganz still auf der Veranda ihres Hauses sitzend, die Musik mehr fuehlt als hoert, welche direkt hinter ihnen aus zwei riesigen Boxen wummert. Ich habe ja immer viel zu meckern, das ist kein Hobby von mir, sondern man verbrennt sich die Zunge dabei und die vielen schoenen Dinge bleiben in solchen Momenten ungenannt,  aber in dem Land aergere ich mich so gut wie nie! Alle hier sind entspannt und freundlich, haben einen hoeflichen Umgangston zueinander. Das ist keineswegs selbstverstaendlich, denn ueber viele Jahrzehnte litt das Land an vielfach genozidartigen Landvertreibungen mit hunderttausenden von Toten.

 

Vom Kokain-Krieg bekommt man wenig mit. Die groesste Macht wurde den Kartellen in den letzten Jahren entzogen. Es gibt aber einige Gebiete im Hochland, die man wegen dem Anbau dort leider nicht besuchen kann.  Aber was soll der kleine Kaffeebauer maschen, wenn der Preis dafuer seit Jahren im Keller liegt? Es bleibt ihm nichts anderes uebrig, als auf den lukrativeren Coca-Anbau umzusatteln. Man stelle sich vor, dass der Koenig der Drogenbarone, Pablo Escobar, der Medellin, die drittgroesste Stadt des Landes in der Hand hatte, vor seiner Festnahme und seines spaeteren gewaltsamen Todes der damaligen Regierung vorschlug, die gesamten Staatsschulden mit einem Schlag zu bezahlen! Das mutet wie ein Comic an, aber beweist auch die gespaltene Situation zwischen Staat und Bevoelkerung, denn das jeweilige Kartell einer Region war gar nicht so unbeliebt, weil sie, wie diese Anekdote beweist, auch bis heute etwas fuer die kleinen Leute unternehmen, Schulen und Krankenhaeuser bauten. So sagte man mir, wuerde es in Medellin niemanden an grundlegenden Dingen mangeln, jedem dort werde aus der groessten Misere geholfen, auch dies hoert sich erst einmal fantastisch an.

Ich wuensche mir sehr, Kolumbien moege nicht in die Abhaengigkeit der USA fallen, wie es die Nachbarstaaten Equador und Panama bereits sind. Das Paradoxe ist, dass fast das gesamte Kokain auf vielen unglaublichen Irrwegen nach den USA exportiert wird, wo der eigentliche Nachfrage-Markt ist. Ich bin nun ganz und gar nicht ueberzeugt, man haette dort in Nordamerika grosses Interesse, sich diesen aeusserst lukrativen Handel entgehen zu lassen. Deshalb sind viele Konflikte in Kolumbien auch konstruiert, um diese gewaltige Geldquelle auch weiterhin im Dunkeln zu belassen. Aehnlich werden auch viele schon jahrzehntelang anhaltenden Kriege in Afrika mit Waffennachschueben gefoerdert, wuerden diese naemlich ein Ende finden, alsbald kaemen neue Investoren ins Land und der Rohstoffreichtum muesste geteilt werden.   

 

Mittlerweile habe ich es bis Cartagena geschafft, dessen ummauerte schoene Altstadt von vielen Piraten belagert und eingenommen wurde. Anstatt mich nun mit dem Segelschiff auf einen geruhsamen Toern zu begeben, da die Landenge zwischen Kolumbien und Panama wegen der Guerillavorherrschaft dort ein unabschaetzbares Risiko bildet, fahre ich schliesslich noch bis nach Turbo, dem letzten Hafenort Kolumbiens am Isthmus des Doppelkontinentes, wo ich am Nachmittag vor meiner Ankunft doch noch die Bekanntschaft mit einem Trupp Paramilitaer mache. Die erwarten mich schon, durch Funkkontakt vorgewarnt, bauen sich im Kreis um mich auf und fragen mich ueber meine Reise aus, bis ich mich dann bei den Uniformlosen  nach ihrer Verfuegungsgewalt erkundige. Wenig spaeter ueberholt mich auf diesem schweren Stueck Piste, welche mich den Hinterreifen kostet, ein Motorrad, dessen sonnenbebrillter Fahrer mir erklaert, ich haette nun freie Fahrt und faehrt voraus. Die Bauern verhalten sich entlang dieser Bananenplantage auch ungewohnt verschlossen.

 

Am naechsten Morgen geht es in einem geraeumigen ueberdachten Motorboot mit anderen Urlaubern zu ein paar Stranddoerfern. Von hier sind wir nur noch zwei, die weiter nach Panama wollen. Die Einreise wird meinem Kolumbianer nicht leichtgemacht, auch ich muss mich beim Grenzort in einem abgetrennten Raum der Behoerde verantworten, Auskunft ueber meine Finanzen geben, was bis jetzt nur in Australien der Fall war - na willkommen in Panama!  Dann legt gegen Abend endlich ein kleines Einbaumboot mit Acht-PS-Aussenbordmotor an, mit welchem ich weiterkomme. Die haben ihren stolzen Preis und daneben leidet das Rad an mehreren stundenlangen Salzduschen auf dem Ritt durch die Duenung entlang der Karibikkueste.

 

Hier wohnen meistens auf kleinen Inseln des San-Blas-Archipels die Kuna-Yala-Indianer. Sie verwalten sich selbst und haben sich ihre Unabhaenigkeit ueber die Jahrhunderte bewahrt. Es gibt keinen Strom, somit auch keine Fernseher, fast alle schlafen in Haengematten. Die Frauen tragen ihr Haar sobald sie Muetter geworden sind kurz mit einem roten Tuch gebunden und legen sich die traditionelle Kleidung aus mit Vogelmotiven bestickten Blusen mit um die Hueften geschlagenen Tuechern an. Typisch fuer Indios haben sie keinerlei Koerperbehaarung, weshalb mir die Kids auch gerne an Armen und Beinen rumzupfen. Die duennen Frauenwaden sind mit einem Geflecht aus gelb-roten Plasteperlen bedeckt, welche sie dann auch nicht mehr ablegen. Ausserdem tragen sie einen breiten goldenen Nasenring, Ohranhaenger aus Goldblech und noch mehr Plasteschmuck an Hals und Armen. Die Maenner dagegen bedecken sich ausnahmlos mit westlicher Kleidung. Die Kleinen legen erst ab etwa vier Jahren ihr Paradieskostuem ab. Fotos zu machen ist entweder nicht erlaubt oder eine Frage des Geldes, so lasse ich das mal wieder mit der Hoffnung, sie bewahrten sich durch solche Massnahmen auch weiterhin ihre Eigenstaendigkeit.

 

Ich bin gluecklicherweise nach einer weiteren interessanten Fahrt der ungebrochenen Wellen wegen etwa zwei Kilometer von der Kueste entfernt, das Boot dabei staendig ausschoepfend, nach drei Stunden auf der Insel Tubualá angekommen, wo ich in sechs Tagen mit dem Versorgungsschiff mitfahren kann. Man baut auf dem nahen Festland etwas Yucca an und erntet die Fruechte der Natur, wie Kochbananen und gerade Unmengen Avocados. Ansonsten lebt man vom Fischfang. Morgens trinken sie ein Glas gesuessten Kakao, dazu ein laengliches Broetchen, mittags und abends gibt es dann diese waesserige Kochbananensuppe mit einem Stueck Fisch. Milch kauft man von "Nestlé" im Pulver. Wie sie mit dieser einseitigen Ernaehrung ueberleben koennen, ist mir schleierhaft, gerade wenn ich an ihre Kinder denke. Man schafft es, mich am Ankunftstag zum Mahl einzuladen, was ich als Letzter alleine einnehme. Am naechsten Abend will man mir schon halb Schlafenden wieder einen Napf hinstellen, aber ich bin kein Hund und lehne ab, ich haette schon gegessen, was auch stimmt - Brot und Avocados. Das ist dann  auf der wirtshauslosen Insel mein einziges Futter, bis es mir ab dem vierten Tag schlecht geht und ich meine Diaet mit kalten Bohnen aus der Dose aufpeppe. Ab und zu rennen die Kids mit Mangos herum, die man nicht im Laden verkauft, was mich wieder mit langem Gesicht schauen laesst. Ein Gefuehl, herzlich aufgenommen zu sein, koennen mir zumindest die Alten nicht vermitteln. Als geschlossene Gemeinschaft ist man nicht auf Touristen eingestellt. Man hat mir einen Raum auf Bodenhoehe zugewiesen, wo man mich und meine Ausruestung je nach Grad der Langeweile durch die Querstreben des Fensters mustert. Die Insel ist sehr klein und aeusserst unromantisch mit Huetten, vorwiegend aus Bambus errichtet und mit Palmblaettern bedeckt, zugebaut. Es gibt ein einziges Baeumchen auf dem Fleck. "Sein Geschaeft" laesst man ins Wasser fallen, das ist einleuchtend und zu verzeihen, viel Muell machen sie ja nicht, ausser ein paar verottenden Essensabfaellen, schnell verrostender Dosen und milder Seifenlauge. Zumindest gibt es Suesswasser womit man sich in kleinen Badehuetten zweimal taeglich den Schweiss der Hitze abwaescht.

Ich komme bei meiner Langeweile dazu, mich mit ein paar Schweinen anzufreunden, studiere sie und kann bestaetigen, sie sind intelligenter als jeder Hund und gruessen bald schon auf jedes Grunzen von mir bereitwillig zurueck und kommen angetrabt. Spaeter kraule ich die Ferkel, wie die Muttersau auch hinter den Ohren, was sie sich stillhaltend, dankbar fuer jede Zuneigung, gefallen lassen, ausserdem – und das wissen die Wenigsten – wird das Fleisch dadurch zarter!

Die Kinder haben noch nie ein Rad gesehen, auch kein Erwachsener weiss eines zu manoevrieren. Ich beschaeftige mich vier Tage damit, alles auseinanderzubauen um das ganze Salz abzuwaschen, was ueberall Krusten bildete, sich zusehend festfrisst und die Eisenteile zernagt, schleife und lakiere die rostenden Stellen - mir leuchtet nun ein, warum ein gutes Boot besser aus Holz gebaut ist.

 

Endlich geht es weiter. Wir steuern etwa ein Dutzend Inseln an, das Schiff ist fast ohne Ladung und befoerdert nur ein paar Passagiere, nimmt die Post mit und fungiert als Bank. Ueber sechhundert Inselchen gibt es hier, aber da viele mueckenverseucht oder schlicht zu klein sind, bleiben sie unbewohnt, sind zumindest gut genug fuer den Traum von der Insel als Foto verewigt, denn sie gehoeren den Indianern und sind gesetzlich unverkaeuflich.

Ich bekomme auch wieder warmes Essen mit der restlichen Besatzung: Mittags gibt es Reis mit Tunfisch aus der Dose, abends Avocado mit Tunfisch und Reis.

Ostern feiern sie hier gar nicht und da ihnen als Naturvolk das spezielle Enzym fehlt, den Alkohol abzubauen, sind sie schnell und lange betrunken und fallen unkoordiniert um, was man manchem an seinen Gesichtsschrammen nach solch einem Exzess auch ansieht.

 

Von der Insel Cartí gelange ich dann mit einem Boot ans Festland zurueck und schinde mich die naechsten zwei Tage auf einem Weg durch den Urwald mit Steigungen bis achtzehn Prozent, dass mir der Ruecken vom Schieben und Zerren wehtut, ich wie am Ende bin und mich mal wieder wundere, woher ich die Kraft bekomme, weiterzulaufen, denn das ist im Moment alles andere als selbstverstaendlich. Am Nachmittag setzt der Regen ein, welcher dem Lehm hier gerade die ideale Konsistenz zum Haeuserbauen verleiht. Ein Auto befaehrt diese Strecke aller zwei Wochen, gerade heute kommt es vorbei. Es ist ein kurzer Land-Cruiser, schon an sich der beste Gelaendewagen - der rollt auf Schneeketten! Das erklaert am besten den Zustand der Piste.            

Ich kann bei einem netten Bauern im Stelzenhaus schlafen, der mich mit vielen entbehrten Fruechten fuettert. Seine Trophaeen aus Leoparden- und Pumafell an der Wand, zeugen vom Artenreichtum dieses Dschungels. Am naechsten Tag zerreisse ich mir eine Sandale und stelle darauf fest, es geht besser barfuss voran, obwohl ich mir davon ein paar Blutblasen und Schuerfwunden hole. Nach 45 Kilometern bessert sich der Weg endlich, wird breiter, planierter, weil man eine Piste baut. Im Glauben, dieser Weg sei nicht so schwierig, liess ich mich mal wieder von ein paar Macho-Maennern auf den Inseln bereden, die ihn schon bewanderten oder "kannten", weil ich es nicht abwarten konnte, wieder unabhaengig zu sein.

 

Dann kommt der Asphalt wieder, einen Tag spaeter erreiche ich Panama-Stadt und werde wegen den naheliegenden Elendsvierteln auf dem Zubringer von einem Polizeimotorrad begleitet.

Viel faellt mir zu der Stadt nicht ein, als dass es recht US-amerikanisch zugeht, weshalb man mir auch oft in Englisch antworten will. Diese waren ja hier mehrere Jahrzehnte wegen den Rechten am Panamakanal, der die beiden Meere verbindet. "Es gibt alles", sagt man wohl dazu: saemtliche nordamerikanische Schnellrestaurant-Ketten, welche die grosse Mehrheit hier uebergewichtig aussehen laesst und haufenweise Einkaufszentren. Zwischen dieser Scheinwelt hockt an den Ecken wie verloren haeufig die Armut aus Alten und Kranken, manche betteln, andere haben neben sich ein paar halb vergammelte Fruechte zum Verkauf ausgebreitet. Man sitzt gerne in Autos herum, welche sich tagsueber im Gewuehl nur stockend vorwaertsbewegen. Nordamaerikanische Schulbusse bruellen durch die Strassen, diese regeln den oeffentlichen Nahverkehr. Baseball ist zum Nationalsport geworden.

Leider hat dieser ganze Ueberschuss zum Ueberdruss gefuehrt, was wenig Humor und eher geringe Kontaktfreudigkeit beweisen.

Naja, ich war eben die letzten eineinhalb Jahre anderes gewoehnt...

 

 

Vielen Dank fuers Lesen,

bis zum naechsten Mal,

Matthias.

 

 

 

        

                   

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